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  • Die Grenzen unserer Zukunfts­vor­stel­lung: Männer bei der Hausarbeit!


    Lorenzo Bonoli

    Es ist schwierig, die Zukunft als einem Gegenstand zu begreifen, der einer objektiven Analyse zugänglich ist. Die Zukunft ist unweigerlich ungreifbar. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Die Zukunft der Vergangenheit. «Vergangene Zukünfte» wie sie sich etwa in Werbefilmen der 1950er und 1960er Jahre manifestierten, enthüllen so manch Interessantes, etwa den Mangel an Vorstellung sozialen Wandels.

    Analysen his­to­ri­scher Zukunfts­vor­stel­lun­gen können äußerst auf­schluss­reich sein. Einer­seits kann der Eifer, sich die eigene Zukunft aus­zu­ma­len, als Reaktion auf die mensch­li­che End­lich­keit ver­stan­den werden, auf das Bedürfnis, die der Existenz inne­woh­nen­de Unge­wiss­heit zu vermeiden, mit dem ver­steck­ten Wunsch vor­her­zu­sa­gen und zu kon­trol­lie­ren, wie die eigene Existenz sein wird. Ande­rer­seits kommt man bei der­ar­ti­gen Analysen nicht umhin, die Genau­ig­keit der Vor­her­sa­gen zu bewerten: Manchmal wird die erdachte Zukunft tat­säch­lich wahr und damit in gewisser Weise zu unserer Gegenwart; in anderen Fällen geht sie nicht in Erfüllung und bleibt reine Fantasie. Bei nach­träg­li­cher Betrach­tung führt ersteres häufig zum Staunen, zweiteres zum Schmunzeln.

    Bei einer Durch­sicht von Wer­be­fil­men großer Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne und von diesen aus­ge­stat­ten Fern­seh­fil­men aus den Jahren 1950–1970, die sich in großer Zahl auf YouTube finden, kann man beides, Staunen und Schmunzeln.

    In diesem Zeitraum, der auch den Beginn des Atom‑, Weltraum- und Com­pu­ter­zeit­al­ters umfasste, gab es besonders viele Zukunfts­vor­stel­lun­gen. Zwei Bereiche scheinen bei der­ar­ti­gen Filmen pri­vi­le­giert zu sein: die Arbeits­welt, in der sich das Wunder der Auto­ma­ti­sie­rung und die Beschleu­ni­gung der Kom­mu­ni­ka­ti­on abzeich­net, sowie die häusliche Welt mit neuen Geräten für die ver­schie­de­nen Putz- und Koch­tä­tig­kei­ten (siehe die Filme:  Challenge of Change (1961), The Home of 1999 (1967), The 21stCentury (1967) sowie die Filme im Beitrag: Die alte Angst vor dem Ende der neuen Arbeit.

    Wir können diese Filme ana­ly­sie­ren, indem wir uns auf die Inno­va­tio­nen kon­zen­trie­ren, die sich im Laufe der Zeit ins unser aller Leben drängten. Wir finden darin etwa die ersten Heim­com­pu­ter, die Tele­ar­beit («Home-Office»), das Einkaufen von zu Hause aus («Online­shop­ping») und Fern­un­ter­richt («E‑Learning») ermög­lich­ten. Wir finden Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me, die den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwischen Menschen, zwischen Menschen und Maschinen sowie zwischen Maschinen (Stichwort: Internet der Dinge) erleich­ter­ten bzw. erst ermög­lich­ten. Im häus­li­chen Bereich finden wir etwa auto­ma­ti­sier­te Küchen mit Mikro­wel­len­herd und vor­ver­pack­ten Lebens­mit­teln, die auf Knopf­druck ein Gericht zaubern.

    Beim ersten Blick auf diese Filme kann man nur staunen über die Weitsicht ihrer kreativen Macher, die in der Lage waren, eine Reihe von tech­ni­schen Inno­va­tio­nen vor­her­zu­se­hen, die sich später durch­set­zen sollten. Die ima­gi­nier­te Zukunft scheint dabei über­ra­schend nahe an unserer Gegenwart zu sein. Bei genauerem Hinsehen stimmt jedoch etwas nicht mit diesen Zukunfts­pro­gno­sen: die Rolle der Frauen. In all diesen Filmen ist die für die Küche zustän­di­ge Person stets eine Frau, ebenso wird auch das Büro nur von Sekre­tä­rin­nen geleitet.

    Man kann sich nur wundern, dass die Zukunfts­for­scher dieser Zeit sich nicht auch einen gesell­schaft­li­chen Wandel vor­stel­len konnten, der die Trennung in Männer- und Frau­en­be­ru­fe über­win­det. Könnte es sein, dass es einfacher ist, sich tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tio­nen vor­zu­stel­len als soziale? Oder waren viel­leicht damals in den Milieus der neuen Tech­no­lo­gien bestimmte soziale Ver­än­de­run­gen uner­wünscht? Oder hätte etwa das Publikum, an das sich diese Filme richteten, einen solchen sozialen Wandel als zu bedroh­lich erlebt?

    Auf diese Fragen gibt es ver­mut­lich keine einfachen Antworten. Erste Hinweise darauf liefern aber die Filme selbst. In the “Challenge of Change” (1961) erinnert uns die Erzähl­stim­me an das Sprich­wort “The more things change, the more they stay the same” (min 11:30) und “The Home of 1999” aus dem Jahr 1967 schließt mit dem schönen Satz: “The world of 1999 and beyond is limited only by the bounda­ries of our ima­gi­na­ti­on today”(min 4:20).

    Die Aussage betont augen­schein­lich die Macht der mensch­li­chen Vor­stel­lungs­kraft. Gleich­zei­tig verweist sie aber auch genau auf die Grenzen der Ima­gi­na­ti­on, welche die Futu­ro­lo­gen der damaligen Zeit bei ihrer Kon­zep­ti­on einer gerech­te­ren sozialen Zukunft ein­schränk­ten. Viel­leicht hätten mit etwas mehr Fantasie in den Köpfen der Tech­no­lo­gen der 1950er und 1960er Jahren, die heute noch bestehen­den Probleme der Gleich­be­rech­ti­gung von Männer und Frauen gelöst werden können.

    Lorenzo Bonoli ist Philosoph und Senior Rese­ar­cher am Eid­ge­nös­si­schen Hoch­schul­in­sti­tut für Berufs­bil­dung (EHB) in Lausanne.

    Refe­ren­zen:
    Reh­ling­haus, Franziska und Ulf Teichmann (Hg.) (2020) Ver­gan­ge­ne Zukünfte von Arbeit Aus­sich­ten, Ängste und Aneig­nun­gen im 20. Jahr­hun­dert. Politik- und Gesell­schafts­ge­schich­te, Band 108, Dietz-Verlag.

    'The Home of 1999', PhilcoFord, 1967, min 24:33 

    'Challenge of Change', AT&T, 1961, min 15:44 

    'The 21st Century', 1967, min 25:05 

    'The Home of 1999', 1967, Filmstil

    'The Home of 1999', 1967, Filmstil

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    Die Grenzen unserer Zukunfts­vor­stel­lung: Männer bei der Hausarbeit!

    Lorenzo Bonoli

    Es ist schwierig, die Zukunft als einem Gegenstand zu begreifen, der einer objektiven Analyse zugänglich ist. Die Zukunft ist unweigerlich ungreifbar. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Die Zukunft der Vergangenheit. «Vergangene Zukünfte» wie sie sich etwa in Werbefilmen der 1950er und 1960er Jahre manifestierten, enthüllen so manch Interessantes, etwa den Mangel an Vorstellung sozialen Wandels.

    Analysen his­to­ri­scher Zukunfts­vor­stel­lun­gen können äußerst auf­schluss­reich sein. Einer­seits kann der Eifer, sich die eigene Zukunft aus­zu­ma­len, als Reaktion auf die mensch­li­che End­lich­keit ver­stan­den werden, auf das Bedürfnis, die der Existenz inne­woh­nen­de Unge­wiss­heit zu vermeiden, mit dem ver­steck­ten Wunsch vor­her­zu­sa­gen und zu kon­trol­lie­ren, wie die eigene Existenz sein wird. Ande­rer­seits kommt man bei der­ar­ti­gen Analysen nicht umhin, die Genau­ig­keit der Vor­her­sa­gen zu bewerten: Manchmal wird die erdachte Zukunft tat­säch­lich wahr und damit in gewisser Weise zu unserer Gegenwart; in anderen Fällen geht sie nicht in Erfüllung und bleibt reine Fantasie. Bei nach­träg­li­cher Betrach­tung führt ersteres häufig zum Staunen, zweiteres zum Schmunzeln.

    Bei einer Durch­sicht von Wer­be­fil­men großer Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne und von diesen aus­ge­stat­ten Fern­seh­fil­men aus den Jahren 1950–1970, die sich in großer Zahl auf YouTube finden, kann man beides, Staunen und Schmunzeln.

    In diesem Zeitraum, der auch den Beginn des Atom‑, Weltraum- und Com­pu­ter­zeit­al­ters umfasste, gab es besonders viele Zukunfts­vor­stel­lun­gen. Zwei Bereiche scheinen bei der­ar­ti­gen Filmen pri­vi­le­giert zu sein: die Arbeits­welt, in der sich das Wunder der Auto­ma­ti­sie­rung und die Beschleu­ni­gung der Kom­mu­ni­ka­ti­on abzeich­net, sowie die häusliche Welt mit neuen Geräten für die ver­schie­de­nen Putz- und Koch­tä­tig­kei­ten (siehe die Filme:  Challenge of Change (1961), The Home of 1999 (1967), The 21stCentury (1967) sowie die Filme im Beitrag: Die alte Angst vor dem Ende der neuen Arbeit.

    Wir können diese Filme ana­ly­sie­ren, indem wir uns auf die Inno­va­tio­nen kon­zen­trie­ren, die sich im Laufe der Zeit ins unser aller Leben drängten. Wir finden darin etwa die ersten Heim­com­pu­ter, die Tele­ar­beit («Home-Office»), das Einkaufen von zu Hause aus («Online­shop­ping») und Fern­un­ter­richt («E‑Learning») ermög­lich­ten. Wir finden Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me, die den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwischen Menschen, zwischen Menschen und Maschinen sowie zwischen Maschinen (Stichwort: Internet der Dinge) erleich­ter­ten bzw. erst ermög­lich­ten. Im häus­li­chen Bereich finden wir etwa auto­ma­ti­sier­te Küchen mit Mikro­wel­len­herd und vor­ver­pack­ten Lebens­mit­teln, die auf Knopf­druck ein Gericht zaubern.

    Beim ersten Blick auf diese Filme kann man nur staunen über die Weitsicht ihrer kreativen Macher, die in der Lage waren, eine Reihe von tech­ni­schen Inno­va­tio­nen vor­her­zu­se­hen, die sich später durch­set­zen sollten. Die ima­gi­nier­te Zukunft scheint dabei über­ra­schend nahe an unserer Gegenwart zu sein. Bei genauerem Hinsehen stimmt jedoch etwas nicht mit diesen Zukunfts­pro­gno­sen: die Rolle der Frauen. In all diesen Filmen ist die für die Küche zustän­di­ge Person stets eine Frau, ebenso wird auch das Büro nur von Sekre­tä­rin­nen geleitet.

    Man kann sich nur wundern, dass die Zukunfts­for­scher dieser Zeit sich nicht auch einen gesell­schaft­li­chen Wandel vor­stel­len konnten, der die Trennung in Männer- und Frau­en­be­ru­fe über­win­det. Könnte es sein, dass es einfacher ist, sich tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tio­nen vor­zu­stel­len als soziale? Oder waren viel­leicht damals in den Milieus der neuen Tech­no­lo­gien bestimmte soziale Ver­än­de­run­gen uner­wünscht? Oder hätte etwa das Publikum, an das sich diese Filme richteten, einen solchen sozialen Wandel als zu bedroh­lich erlebt?

    Auf diese Fragen gibt es ver­mut­lich keine einfachen Antworten. Erste Hinweise darauf liefern aber die Filme selbst. In the “Challenge of Change” (1961) erinnert uns die Erzähl­stim­me an das Sprich­wort “The more things change, the more they stay the same” (min 11:30) und “The Home of 1999” aus dem Jahr 1967 schließt mit dem schönen Satz: “The world of 1999 and beyond is limited only by the bounda­ries of our ima­gi­na­ti­on today”(min 4:20).

    Die Aussage betont augen­schein­lich die Macht der mensch­li­chen Vor­stel­lungs­kraft. Gleich­zei­tig verweist sie aber auch genau auf die Grenzen der Ima­gi­na­ti­on, welche die Futu­ro­lo­gen der damaligen Zeit bei ihrer Kon­zep­ti­on einer gerech­te­ren sozialen Zukunft ein­schränk­ten. Viel­leicht hätten mit etwas mehr Fantasie in den Köpfen der Tech­no­lo­gen der 1950er und 1960er Jahren, die heute noch bestehen­den Probleme der Gleich­be­rech­ti­gung von Männer und Frauen gelöst werden können.

    Lorenzo Bonoli ist Philosoph und Senior Rese­ar­cher am Eid­ge­nös­si­schen Hoch­schul­in­sti­tut für Berufs­bil­dung (EHB) in Lausanne.

    Refe­ren­zen:
    Reh­ling­haus, Franziska und Ulf Teichmann (Hg.) (2020) Ver­gan­ge­ne Zukünfte von Arbeit Aus­sich­ten, Ängste und Aneig­nun­gen im 20. Jahr­hun­dert. Politik- und Gesell­schafts­ge­schich­te, Band 108, Dietz-Verlag.

    'The Home of 1999', PhilcoFord, 1967, min 24:33

    'Challenge of Change', AT&T, 1961, min 15:44

    'The 21st Century', 1967, min 25:05

    'The Home of 1999', 1967, Filmstil

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    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

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