Die Grenzen unserer Zukunftsvorstellung: Männer bei der Hausarbeit!
Analysen historischer Zukunftsvorstellungen können äußerst aufschlussreich sein. Einerseits kann der Eifer, sich die eigene Zukunft auszumalen, als Reaktion auf die menschliche Endlichkeit verstanden werden, auf das Bedürfnis, die der Existenz innewohnende Ungewissheit zu vermeiden, mit dem versteckten Wunsch vorherzusagen und zu kontrollieren, wie die eigene Existenz sein wird. Andererseits kommt man bei derartigen Analysen nicht umhin, die Genauigkeit der Vorhersagen zu bewerten: Manchmal wird die erdachte Zukunft tatsächlich wahr und damit in gewisser Weise zu unserer Gegenwart; in anderen Fällen geht sie nicht in Erfüllung und bleibt reine Fantasie. Bei nachträglicher Betrachtung führt ersteres häufig zum Staunen, zweiteres zum Schmunzeln.
Bei einer Durchsicht von Werbefilmen großer Technologiekonzerne und von diesen ausgestatten Fernsehfilmen aus den Jahren 1950–1970, die sich in großer Zahl auf YouTube finden, kann man beides, Staunen und Schmunzeln.
In diesem Zeitraum, der auch den Beginn des Atom‑, Weltraum- und Computerzeitalters umfasste, gab es besonders viele Zukunftsvorstellungen. Zwei Bereiche scheinen bei derartigen Filmen privilegiert zu sein: die Arbeitswelt, in der sich das Wunder der Automatisierung und die Beschleunigung der Kommunikation abzeichnet, sowie die häusliche Welt mit neuen Geräten für die verschiedenen Putz- und Kochtätigkeiten (siehe die Filme: Challenge of Change (1961), The Home of 1999 (1967), The 21stCentury (1967) sowie die Filme im Beitrag: Die alte Angst vor dem Ende der neuen Arbeit.
Wir können diese Filme analysieren, indem wir uns auf die Innovationen konzentrieren, die sich im Laufe der Zeit ins unser aller Leben drängten. Wir finden darin etwa die ersten Heimcomputer, die Telearbeit («Home-Office»), das Einkaufen von zu Hause aus («Onlineshopping») und Fernunterricht («E‑Learning») ermöglichten. Wir finden Kommunikationssysteme, die den Informationsaustausch zwischen Menschen, zwischen Menschen und Maschinen sowie zwischen Maschinen (Stichwort: Internet der Dinge) erleichterten bzw. erst ermöglichten. Im häuslichen Bereich finden wir etwa automatisierte Küchen mit Mikrowellenherd und vorverpackten Lebensmitteln, die auf Knopfdruck ein Gericht zaubern.
Beim ersten Blick auf diese Filme kann man nur staunen über die Weitsicht ihrer kreativen Macher, die in der Lage waren, eine Reihe von technischen Innovationen vorherzusehen, die sich später durchsetzen sollten. Die imaginierte Zukunft scheint dabei überraschend nahe an unserer Gegenwart zu sein. Bei genauerem Hinsehen stimmt jedoch etwas nicht mit diesen Zukunftsprognosen: die Rolle der Frauen. In all diesen Filmen ist die für die Küche zuständige Person stets eine Frau, ebenso wird auch das Büro nur von Sekretärinnen geleitet.
Man kann sich nur wundern, dass die Zukunftsforscher dieser Zeit sich nicht auch einen gesellschaftlichen Wandel vorstellen konnten, der die Trennung in Männer- und Frauenberufe überwindet. Könnte es sein, dass es einfacher ist, sich technologische Innovationen vorzustellen als soziale? Oder waren vielleicht damals in den Milieus der neuen Technologien bestimmte soziale Veränderungen unerwünscht? Oder hätte etwa das Publikum, an das sich diese Filme richteten, einen solchen sozialen Wandel als zu bedrohlich erlebt?
Auf diese Fragen gibt es vermutlich keine einfachen Antworten. Erste Hinweise darauf liefern aber die Filme selbst. In the “Challenge of Change” (1961) erinnert uns die Erzählstimme an das Sprichwort “The more things change, the more they stay the same” (min 11:30) und “The Home of 1999” aus dem Jahr 1967 schließt mit dem schönen Satz: “The world of 1999 and beyond is limited only by the boundaries of our imagination today”(min 4:20).
Die Aussage betont augenscheinlich die Macht der menschlichen Vorstellungskraft. Gleichzeitig verweist sie aber auch genau auf die Grenzen der Imagination, welche die Futurologen der damaligen Zeit bei ihrer Konzeption einer gerechteren sozialen Zukunft einschränkten. Vielleicht hätten mit etwas mehr Fantasie in den Köpfen der Technologen der 1950er und 1960er Jahren, die heute noch bestehenden Probleme der Gleichberechtigung von Männer und Frauen gelöst werden können.
Lorenzo Bonoli ist Philosoph und Senior Researcher am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) in Lausanne.
Referenzen:
Rehlinghaus, Franziska und Ulf Teichmann (Hg.) (2020) Vergangene Zukünfte von Arbeit Aussichten, Ängste und Aneignungen im 20. Jahrhundert. Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Band 108, Dietz-Verlag.
'The Home of 1999', PhilcoFord, 1967, min 24:33
'Challenge of Change', AT&T, 1961, min 15:44
'The 21st Century', 1967, min 25:05
'The Home of 1999', 1967, Filmstil
© PhilcoFord
'The Home of 1999', 1967, Filmstil
© PhilcoFord,
Die Grenzen unserer Zukunftsvorstellung: Männer bei der Hausarbeit!
Analysen historischer Zukunftsvorstellungen können äußerst aufschlussreich sein. Einerseits kann der Eifer, sich die eigene Zukunft auszumalen, als Reaktion auf die menschliche Endlichkeit verstanden werden, auf das Bedürfnis, die der Existenz innewohnende Ungewissheit zu vermeiden, mit dem versteckten Wunsch vorherzusagen und zu kontrollieren, wie die eigene Existenz sein wird. Andererseits kommt man bei derartigen Analysen nicht umhin, die Genauigkeit der Vorhersagen zu bewerten: Manchmal wird die erdachte Zukunft tatsächlich wahr und damit in gewisser Weise zu unserer Gegenwart; in anderen Fällen geht sie nicht in Erfüllung und bleibt reine Fantasie. Bei nachträglicher Betrachtung führt ersteres häufig zum Staunen, zweiteres zum Schmunzeln.
Bei einer Durchsicht von Werbefilmen großer Technologiekonzerne und von diesen ausgestatten Fernsehfilmen aus den Jahren 1950–1970, die sich in großer Zahl auf YouTube finden, kann man beides, Staunen und Schmunzeln.
In diesem Zeitraum, der auch den Beginn des Atom‑, Weltraum- und Computerzeitalters umfasste, gab es besonders viele Zukunftsvorstellungen. Zwei Bereiche scheinen bei derartigen Filmen privilegiert zu sein: die Arbeitswelt, in der sich das Wunder der Automatisierung und die Beschleunigung der Kommunikation abzeichnet, sowie die häusliche Welt mit neuen Geräten für die verschiedenen Putz- und Kochtätigkeiten (siehe die Filme: Challenge of Change (1961), The Home of 1999 (1967), The 21stCentury (1967) sowie die Filme im Beitrag: Die alte Angst vor dem Ende der neuen Arbeit.
Wir können diese Filme analysieren, indem wir uns auf die Innovationen konzentrieren, die sich im Laufe der Zeit ins unser aller Leben drängten. Wir finden darin etwa die ersten Heimcomputer, die Telearbeit («Home-Office»), das Einkaufen von zu Hause aus («Onlineshopping») und Fernunterricht («E‑Learning») ermöglichten. Wir finden Kommunikationssysteme, die den Informationsaustausch zwischen Menschen, zwischen Menschen und Maschinen sowie zwischen Maschinen (Stichwort: Internet der Dinge) erleichterten bzw. erst ermöglichten. Im häuslichen Bereich finden wir etwa automatisierte Küchen mit Mikrowellenherd und vorverpackten Lebensmitteln, die auf Knopfdruck ein Gericht zaubern.
Beim ersten Blick auf diese Filme kann man nur staunen über die Weitsicht ihrer kreativen Macher, die in der Lage waren, eine Reihe von technischen Innovationen vorherzusehen, die sich später durchsetzen sollten. Die imaginierte Zukunft scheint dabei überraschend nahe an unserer Gegenwart zu sein. Bei genauerem Hinsehen stimmt jedoch etwas nicht mit diesen Zukunftsprognosen: die Rolle der Frauen. In all diesen Filmen ist die für die Küche zuständige Person stets eine Frau, ebenso wird auch das Büro nur von Sekretärinnen geleitet.
Man kann sich nur wundern, dass die Zukunftsforscher dieser Zeit sich nicht auch einen gesellschaftlichen Wandel vorstellen konnten, der die Trennung in Männer- und Frauenberufe überwindet. Könnte es sein, dass es einfacher ist, sich technologische Innovationen vorzustellen als soziale? Oder waren vielleicht damals in den Milieus der neuen Technologien bestimmte soziale Veränderungen unerwünscht? Oder hätte etwa das Publikum, an das sich diese Filme richteten, einen solchen sozialen Wandel als zu bedrohlich erlebt?
Auf diese Fragen gibt es vermutlich keine einfachen Antworten. Erste Hinweise darauf liefern aber die Filme selbst. In the “Challenge of Change” (1961) erinnert uns die Erzählstimme an das Sprichwort “The more things change, the more they stay the same” (min 11:30) und “The Home of 1999” aus dem Jahr 1967 schließt mit dem schönen Satz: “The world of 1999 and beyond is limited only by the boundaries of our imagination today”(min 4:20).
Die Aussage betont augenscheinlich die Macht der menschlichen Vorstellungskraft. Gleichzeitig verweist sie aber auch genau auf die Grenzen der Imagination, welche die Futurologen der damaligen Zeit bei ihrer Konzeption einer gerechteren sozialen Zukunft einschränkten. Vielleicht hätten mit etwas mehr Fantasie in den Köpfen der Technologen der 1950er und 1960er Jahren, die heute noch bestehenden Probleme der Gleichberechtigung von Männer und Frauen gelöst werden können.
Lorenzo Bonoli ist Philosoph und Senior Researcher am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) in Lausanne.
Referenzen:
Rehlinghaus, Franziska und Ulf Teichmann (Hg.) (2020) Vergangene Zukünfte von Arbeit Aussichten, Ängste und Aneignungen im 20. Jahrhundert. Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Band 108, Dietz-Verlag.
'The Home of 1999', PhilcoFord, 1967, min 24:33
'Challenge of Change', AT&T, 1961, min 15:44
'The 21st Century', 1967, min 25:05
'The Home of 1999', 1967, Filmstil
© PhilcoFord
'The Home of 1999', 1967, Filmstil
© PhilcoFord,
Zukunft der Arbeit: Science und Science-Fiction
Zukunftsforschung hat sich längst als Wissenschaftsdisziplin etabliert. Weshalb die Forschung sich nicht scheuen sollte, Anleihen bei Science-Fiction Filmen zu nehmen, wird bei der britischen Miniserie „Years and Years“ (2019) von Russell T. Davies deutlich.
THE WALKING MAN
Arbeit adelt. Arbeit macht das Leben süss. Sinnsprüche wie diese schreiben das Prinzip Arbeit apodiktisch als das Richtige und Gute ins Bewusstsein der Menschen ein. Wenn das amerikanische Fernsehen dieses Ideal aufgreift, dann um einen Helden der Arbeit zu kreieren: James Roberston – the walking man.
Arbeitsplatz Atomkraftwerk
Spiel- und Dokumentarfilme zu Reaktorkatastrophen hatten vergangenes Jahr Hochsaison. 10 Jahre Fukushima und 35 Jahre Tschernobyl waren willkommene Anlässe. Für einen Einblick in die Arbeitswelt Atomkraftwerk empfehle ich aber weiter, nämlich auf Volker Sattels „Unter Kontrolle“ (2011), zurückzugreifen.
Japans Seelöwinnen
Anti-stereotypische Berufe: Ama-San und Haenyo ─ Apnoe-Taucherinnen in Japan und Korea
Fischli und Weiss als DIY
Ein junger Youtuber hat vermutlich unwissentlich ein Remake des berühmten Kunstvideos „Der Lauf der Dinge“ (1987) von Fischli und Weiss gedreht und wirft damit interessante Fragen zum Verhältnis von Kunst, professionellem Handwerk und Do-it-yourself auf.
Fit mach mit
Über den Topos Gesundheit wird eine umfassende Optimierungs- und Steigerungslogik in die Menschen eingepflanzt. Fitness ist einer von mehreren Einflußfaktoren, um den innovativen, individuellen und performativen Unternehmer seiner selbst zu etablieren.
Über diesen Blog
Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes veranschaulicht dieser Blog buchstäblich das weite Feld der Arbeit, Beschäftigung und Bildung in einer offenen Sammlung akademischer, künstlerischer und auch anekdotischer Erkenntnisse.
Über uns
Konrad Wakolbinger dreht Dokumentarfilme über Arbeit und Leben. Jörg Markowitsch forscht zu Bildung und Arbeit. Beide leben in Wien. Informationen zu Gastautoren und ‑autorinnen finden sich bei ihren jeweiligen Beiträgen
Über uns hinaus
Interesse an mehr? Wir haben hier Empfehlungen zu einschlägigen Festivals, Filmsammlungen und Literatur zusammengestellt.
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