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  • Gun­der­mann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma


    Jörg Markowitsch 

    Das Biopic ‚Gundermann‘ (2018) erzählt ganz nebenbei auch vom Niedergang des Tagebau in der Lausitz und dem bereits verschwundenen Arbeitsparadigma der DDR.

    Zum dritten Mal gesehen und zum dritten Mal Gänsehaut bekommen, als Alexander Scheer (alias Gun­der­mann) „Das traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug“ anstimmt. Eine Schlüs­sel­sze­ne in dem mehrfach aus­ge­zeich­ne­ten Biopic über den früh ver­stor­be­nen ost­deut­schen Lie­der­ma­cher und Berg­ar­bei­ter Gerhard Gun­der­mann („Gundi“), der sich mit der STASI einließ. Die Szene, wie auch das Lied, vermag zwei wesent­li­che Aspekte, dessen was die Per­sön­lich­keit und das Leben von Gun­der­mann aus­mach­ten, auf den Punkt zu bringen: Hoch „müssen“ auf den Schauf­fel­rad­bag­ger im Mor­gen­grau­en und das Lie­der­ma­chen. Das Lied endet, die Anwerbung durch die STASI beginnt.

    Über die kluge, sich jeglicher Schwarz-Weiß-Malerei ent­zie­hen­de, Insze­nie­rung der STASI Ver­gan­gen­heit von Gun­der­mann ist viel geschrie­ben worden. Ebenso über die über­ra­gen­de Dar­bie­tung von Alexander Scheer, der im wahrsten Sinne in die Haut Gun­der­manns schlüpfte und seine Lieder nah am Original, und damit grandios, inter­pre­tier­te.  So einfach, wie ver­gan­ge­nes Jahr, war die Vergabe des deutschen Film­prei­ses, für die beste männliche Haupt­rol­le ver­mut­lich nie. Daneben gab es im Übrigen noch fünf weitere Preise: bester Film, beste Regie, bestes Sze­nen­bild, bestes Drehbuch, bestes Kostümbild.

    Unerwähnt, wohl auch weil gänzlich beiläufig, doch deshalb nicht weniger präsent, blieb in den Rezen­sio­nen jedoch die Por­trä­tie­rung einer ver­gan­ge­nen Arbeits­welt. Zwar gibt es Tage­berg­bau in der Lausitz und anderswo in Deutsch­land, noch immer und auch Schauf­fel­rad­bag­ger — neben denen mobile Bagger aussehen wie Spielzeug — sind weiterhin im Einsatz. Bilder, wie jenes im Film, bei dem die zierliche, kurz vor der Pen­sio­nie­rung stehende Bag­ger­füh­re­rin, Helga, ihren Kollegen Gundi einschult, sind heute jedoch weit­ge­hend passé. Geschich­te sind jeden­falls auch die im Film und in der Musik deutlich wahr­nehm­ba­re hohe Arbeits­ori­en­tie­rung und ‑pflicht sowie die Soli­da­ri­tät innerhalb der Brigade, sprich das Arbeits­pa­ra­dig­ma der Deutschen Demo­kra­ti­schen Republik (Thaa 1989; Wierling 1996).

    Inter­es­san­ter­wei­se ist Die „Wende“ in Gun­der­manns Arbeits­welt jedoch kaum zu bemerken. Während sich Mode, Wohn­ver­hält­nis­se und Kon­zert­kul­tur in den beiden dar­ge­stell­ten Perioden, Mitte der 1970er und Anfang der 1990er, massiv unter­schei­den und damit dem Zuschauer die häufigen Zeit­sprün­ge leicht machen, scheint dies zunächst nicht für die Arbeit zu gelten. Gundi im oder auf dem Bagger scheint zeitlos. Und doch: Die plötz­li­chen Übergänge, ja das Ineinander­greifen, von Musi­zie­ren und Baggern kenn­zeich­nen ein Ver­ständ­nis von Arbeit, das nur vor der Wende zu exis­tie­ren scheint.

    Danach verbinden lediglich Gundis einsame Auto­fahr­ten durch gänzlich der Elek­tri­zi­täts­ge­win­nung geop­fer­ter Land­schaf­ten Kultur und Arbeit. Gerade dort, wo nun Europas größte künst­li­che Seen­land­schaft entsteht. Der Film, nicht die Seen, werden eine Ahnung eines ver­schwun­de­nen Arbeits­pa­ra­dig­mas am Leben halten.

    Refe­ren­zen:
    Wierling, D. (1996). Work, Workers, and Politics in the German Demo­cra­tic Republic. Inter­na­tio­nal Labor and Working-Class History, 50, Labor under Communist Regimes, 44–63.
    Thaa, W. (1989). Die legi­ti­ma­to­ri­sche Bedeutung des Arbeits­pa­ra­dig­mas in der DDR. Poli­ti­sche Vier­tel­jah­res­schrift, 30(1), 94–113.

     

    Gundermann, 2018, Deutschland, Trailer 

    Trauriges Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug, Gundi Gundermann, 1988 

    Gerhard Gundermann (Alexander Scheer)

    Anna Unterberger und Alexander Scheer

    Führungsoffizier (Axel Prahl)

    Baggerfahrerin Helga (Eva Weißenborn)

    Dreharbeiten Gundermann in Tagewerk Nochten

    Dreharbeiten Gundermann

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    Gun­der­mann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma

    Jörg Markowitsch 

    Das Biopic ‚Gundermann‘ (2018) erzählt ganz nebenbei auch vom Niedergang des Tagebau in der Lausitz und dem bereits verschwundenen Arbeitsparadigma der DDR.

    Zum dritten Mal gesehen und zum dritten Mal Gänsehaut bekommen, als Alexander Scheer (alias Gun­der­mann) „Das traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug“ anstimmt. Eine Schlüs­sel­sze­ne in dem mehrfach aus­ge­zeich­ne­ten Biopic über den früh ver­stor­be­nen ost­deut­schen Lie­der­ma­cher und Berg­ar­bei­ter Gerhard Gun­der­mann („Gundi“), der sich mit der STASI einließ. Die Szene, wie auch das Lied, vermag zwei wesent­li­che Aspekte, dessen was die Per­sön­lich­keit und das Leben von Gun­der­mann aus­mach­ten, auf den Punkt zu bringen: Hoch „müssen“ auf den Schauf­fel­rad­bag­ger im Mor­gen­grau­en und das Lie­der­ma­chen. Das Lied endet, die Anwerbung durch die STASI beginnt.

    Über die kluge, sich jeglicher Schwarz-Weiß-Malerei ent­zie­hen­de, Insze­nie­rung der STASI Ver­gan­gen­heit von Gun­der­mann ist viel geschrie­ben worden. Ebenso über die über­ra­gen­de Dar­bie­tung von Alexander Scheer, der im wahrsten Sinne in die Haut Gun­der­manns schlüpfte und seine Lieder nah am Original, und damit grandios, inter­pre­tier­te.  So einfach, wie ver­gan­ge­nes Jahr, war die Vergabe des deutschen Film­prei­ses, für die beste männliche Haupt­rol­le ver­mut­lich nie. Daneben gab es im Übrigen noch fünf weitere Preise: bester Film, beste Regie, bestes Sze­nen­bild, bestes Drehbuch, bestes Kostümbild.

    Unerwähnt, wohl auch weil gänzlich beiläufig, doch deshalb nicht weniger präsent, blieb in den Rezen­sio­nen jedoch die Por­trä­tie­rung einer ver­gan­ge­nen Arbeits­welt. Zwar gibt es Tage­berg­bau in der Lausitz und anderswo in Deutsch­land, noch immer und auch Schauf­fel­rad­bag­ger — neben denen mobile Bagger aussehen wie Spielzeug — sind weiterhin im Einsatz. Bilder, wie jenes im Film, bei dem die zierliche, kurz vor der Pen­sio­nie­rung stehende Bag­ger­füh­re­rin, Helga, ihren Kollegen Gundi einschult, sind heute jedoch weit­ge­hend passé. Geschich­te sind jeden­falls auch die im Film und in der Musik deutlich wahr­nehm­ba­re hohe Arbeits­ori­en­tie­rung und ‑pflicht sowie die Soli­da­ri­tät innerhalb der Brigade, sprich das Arbeits­pa­ra­dig­ma der Deutschen Demo­kra­ti­schen Republik (Thaa 1989; Wierling 1996).

    Inter­es­san­ter­wei­se ist Die „Wende“ in Gun­der­manns Arbeits­welt jedoch kaum zu bemerken. Während sich Mode, Wohn­ver­hält­nis­se und Kon­zert­kul­tur in den beiden dar­ge­stell­ten Perioden, Mitte der 1970er und Anfang der 1990er, massiv unter­schei­den und damit dem Zuschauer die häufigen Zeit­sprün­ge leicht machen, scheint dies zunächst nicht für die Arbeit zu gelten. Gundi im oder auf dem Bagger scheint zeitlos. Und doch: Die plötz­li­chen Übergänge, ja das Ineinander­greifen, von Musi­zie­ren und Baggern kenn­zeich­nen ein Ver­ständ­nis von Arbeit, das nur vor der Wende zu exis­tie­ren scheint.

    Danach verbinden lediglich Gundis einsame Auto­fahr­ten durch gänzlich der Elek­tri­zi­täts­ge­win­nung geop­fer­ter Land­schaf­ten Kultur und Arbeit. Gerade dort, wo nun Europas größte künst­li­che Seen­land­schaft entsteht. Der Film, nicht die Seen, werden eine Ahnung eines ver­schwun­de­nen Arbeits­pa­ra­dig­mas am Leben halten.

    Refe­ren­zen:
    Wierling, D. (1996). Work, Workers, and Politics in the German Demo­cra­tic Republic. Inter­na­tio­nal Labor and Working-Class History, 50, Labor under Communist Regimes, 44–63.
    Thaa, W. (1989). Die legi­ti­ma­to­ri­sche Bedeutung des Arbeits­pa­ra­dig­mas in der DDR. Poli­ti­sche Vier­tel­jah­res­schrift, 30(1), 94–113.

     

    Gundermann, 2018, Deutschland, Trailer

    Trauriges Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug, Gundi Gundermann, 1988

    Gerhard Gundermann (Alexander Scheer)

    Anna Unterberger und Alexander Scheer

    Führungsoffizier (Axel Prahl)

    Baggerfahrerin Helga (Eva Weißenborn)

    Dreharbeiten Gundermann in Tagewerk Nochten

    Dreharbeiten Gundermann

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    Wittgenstein stop motion

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    Ana Vasofs filmische Anekdoten beflügeln die Praxeologie und hinterfragen pointiert unsere Denk- und Verhaltensweisen.

    Sorry, Sie haben das Leben verpasst!

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