Gundermann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma
Zum dritten Mal gesehen und zum dritten Mal Gänsehaut bekommen, als Alexander Scheer (alias Gundermann) „Das traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug“ anstimmt. Eine Schlüsselszene in dem mehrfach ausgezeichneten Biopic über den früh verstorbenen ostdeutschen Liedermacher und Bergarbeiter Gerhard Gundermann („Gundi“), der sich mit der STASI einließ. Die Szene, wie auch das Lied, vermag zwei wesentliche Aspekte, dessen was die Persönlichkeit und das Leben von Gundermann ausmachten, auf den Punkt zu bringen: Hoch „müssen“ auf den Schauffelradbagger im Morgengrauen und das Liedermachen. Das Lied endet, die Anwerbung durch die STASI beginnt.
Über die kluge, sich jeglicher Schwarz-Weiß-Malerei entziehende, Inszenierung der STASI Vergangenheit von Gundermann ist viel geschrieben worden. Ebenso über die überragende Darbietung von Alexander Scheer, der im wahrsten Sinne in die Haut Gundermanns schlüpfte und seine Lieder nah am Original, und damit grandios, interpretierte. So einfach, wie vergangenes Jahr, war die Vergabe des deutschen Filmpreises, für die beste männliche Hauptrolle vermutlich nie. Daneben gab es im Übrigen noch fünf weitere Preise: bester Film, beste Regie, bestes Szenenbild, bestes Drehbuch, bestes Kostümbild.
Unerwähnt, wohl auch weil gänzlich beiläufig, doch deshalb nicht weniger präsent, blieb in den Rezensionen jedoch die Porträtierung einer vergangenen Arbeitswelt. Zwar gibt es Tagebergbau in der Lausitz und anderswo in Deutschland, noch immer und auch Schauffelradbagger — neben denen mobile Bagger aussehen wie Spielzeug — sind weiterhin im Einsatz. Bilder, wie jenes im Film, bei dem die zierliche, kurz vor der Pensionierung stehende Baggerführerin, Helga, ihren Kollegen Gundi einschult, sind heute jedoch weitgehend passé. Geschichte sind jedenfalls auch die im Film und in der Musik deutlich wahrnehmbare hohe Arbeitsorientierung und ‑pflicht sowie die Solidarität innerhalb der Brigade, sprich das Arbeitsparadigma der Deutschen Demokratischen Republik (Thaa 1989; Wierling 1996).
Interessanterweise ist Die „Wende“ in Gundermanns Arbeitswelt jedoch kaum zu bemerken. Während sich Mode, Wohnverhältnisse und Konzertkultur in den beiden dargestellten Perioden, Mitte der 1970er und Anfang der 1990er, massiv unterscheiden und damit dem Zuschauer die häufigen Zeitsprünge leicht machen, scheint dies zunächst nicht für die Arbeit zu gelten. Gundi im oder auf dem Bagger scheint zeitlos. Und doch: Die plötzlichen Übergänge, ja das Ineinandergreifen, von Musizieren und Baggern kennzeichnen ein Verständnis von Arbeit, das nur vor der Wende zu existieren scheint.
Danach verbinden lediglich Gundis einsame Autofahrten durch gänzlich der Elektrizitätsgewinnung geopferter Landschaften Kultur und Arbeit. Gerade dort, wo nun Europas größte künstliche Seenlandschaft entsteht. Der Film, nicht die Seen, werden eine Ahnung eines verschwundenen Arbeitsparadigmas am Leben halten.
Referenzen:
Wierling, D. (1996). Work, Workers, and Politics in the German Democratic Republic. International Labor and Working-Class History, 50, Labor under Communist Regimes, 44–63.
Thaa, W. (1989). Die legitimatorische Bedeutung des Arbeitsparadigmas in der DDR. Politische Vierteljahresschrift, 30(1), 94–113.
Gundermann, 2018, Deutschland, Trailer
Trauriges Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug, Gundi Gundermann, 1988
Gerhard Gundermann (Alexander Scheer)
© Peter Hartwig / Pandora Film
Anna Unterberger und Alexander Scheer
© Peter Hartwig / Pandora Film
Führungsoffizier (Axel Prahl)
© Peter Hartwig / Pandora Film
Baggerfahrerin Helga (Eva Weißenborn)
© Peter Hartwig / Pandora Film
Dreharbeiten Gundermann in Tagewerk Nochten
© LEAG / Andreas Franke
Dreharbeiten Gundermann
© Peter Hartwig / Pandora Film
Gundermann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma
Zum dritten Mal gesehen und zum dritten Mal Gänsehaut bekommen, als Alexander Scheer (alias Gundermann) „Das traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug“ anstimmt. Eine Schlüsselszene in dem mehrfach ausgezeichneten Biopic über den früh verstorbenen ostdeutschen Liedermacher und Bergarbeiter Gerhard Gundermann („Gundi“), der sich mit der STASI einließ. Die Szene, wie auch das Lied, vermag zwei wesentliche Aspekte, dessen was die Persönlichkeit und das Leben von Gundermann ausmachten, auf den Punkt zu bringen: Hoch „müssen“ auf den Schauffelradbagger im Morgengrauen und das Liedermachen. Das Lied endet, die Anwerbung durch die STASI beginnt.
Über die kluge, sich jeglicher Schwarz-Weiß-Malerei entziehende, Inszenierung der STASI Vergangenheit von Gundermann ist viel geschrieben worden. Ebenso über die überragende Darbietung von Alexander Scheer, der im wahrsten Sinne in die Haut Gundermanns schlüpfte und seine Lieder nah am Original, und damit grandios, interpretierte. So einfach, wie vergangenes Jahr, war die Vergabe des deutschen Filmpreises, für die beste männliche Hauptrolle vermutlich nie. Daneben gab es im Übrigen noch fünf weitere Preise: bester Film, beste Regie, bestes Szenenbild, bestes Drehbuch, bestes Kostümbild.
Unerwähnt, wohl auch weil gänzlich beiläufig, doch deshalb nicht weniger präsent, blieb in den Rezensionen jedoch die Porträtierung einer vergangenen Arbeitswelt. Zwar gibt es Tagebergbau in der Lausitz und anderswo in Deutschland, noch immer und auch Schauffelradbagger — neben denen mobile Bagger aussehen wie Spielzeug — sind weiterhin im Einsatz. Bilder, wie jenes im Film, bei dem die zierliche, kurz vor der Pensionierung stehende Baggerführerin, Helga, ihren Kollegen Gundi einschult, sind heute jedoch weitgehend passé. Geschichte sind jedenfalls auch die im Film und in der Musik deutlich wahrnehmbare hohe Arbeitsorientierung und ‑pflicht sowie die Solidarität innerhalb der Brigade, sprich das Arbeitsparadigma der Deutschen Demokratischen Republik (Thaa 1989; Wierling 1996).
Interessanterweise ist Die „Wende“ in Gundermanns Arbeitswelt jedoch kaum zu bemerken. Während sich Mode, Wohnverhältnisse und Konzertkultur in den beiden dargestellten Perioden, Mitte der 1970er und Anfang der 1990er, massiv unterscheiden und damit dem Zuschauer die häufigen Zeitsprünge leicht machen, scheint dies zunächst nicht für die Arbeit zu gelten. Gundi im oder auf dem Bagger scheint zeitlos. Und doch: Die plötzlichen Übergänge, ja das Ineinandergreifen, von Musizieren und Baggern kennzeichnen ein Verständnis von Arbeit, das nur vor der Wende zu existieren scheint.
Danach verbinden lediglich Gundis einsame Autofahrten durch gänzlich der Elektrizitätsgewinnung geopferter Landschaften Kultur und Arbeit. Gerade dort, wo nun Europas größte künstliche Seenlandschaft entsteht. Der Film, nicht die Seen, werden eine Ahnung eines verschwundenen Arbeitsparadigmas am Leben halten.
Referenzen:
Wierling, D. (1996). Work, Workers, and Politics in the German Democratic Republic. International Labor and Working-Class History, 50, Labor under Communist Regimes, 44–63.
Thaa, W. (1989). Die legitimatorische Bedeutung des Arbeitsparadigmas in der DDR. Politische Vierteljahresschrift, 30(1), 94–113.
Gundermann, 2018, Deutschland, Trailer
Trauriges Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug, Gundi Gundermann, 1988
Gerhard Gundermann (Alexander Scheer)
© Peter Hartwig / Pandora Film
Anna Unterberger und Alexander Scheer
© Peter Hartwig / Pandora Film
Führungsoffizier (Axel Prahl)
© Peter Hartwig / Pandora Film
Baggerfahrerin Helga (Eva Weißenborn)
© Peter Hartwig / Pandora Film
Dreharbeiten Gundermann in Tagewerk Nochten
© LEAG / Andreas Franke
Dreharbeiten Gundermann
© Peter Hartwig / Pandora Film
Wittgenstein stop motion
Ana Vasofs filmische Anekdoten beflügeln die Praxeologie und hinterfragen pointiert unsere Denk- und Verhaltensweisen.
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Gegen offene Ausbeutung können wir uns wehren. Subtile Formen hingegen sind nicht so leicht erkennbar und schwerer zu bekämpfen.