Stapler-Konflikte
Als ich mir 2019 eine kurze Auszeit nahm und ein Volontariat als Hilfsarbeiter in einer Großgärtnerei begann, waren sie alle wieder da: die Gefühle, die man in einem neuen, fremden Job in den ersten Tagen und Wochen nur in dieser Form durchlebt.
In dem deutschen Spielfilm „In den Gängen“ (2018) lässt sich diese spezielle Gefühlwelt von Berufsanfängern in Hilfsberufen wunderbar nachempfinden. Christian, dem Protagonisten des Films, herausragend gespielt vom deutschen Joaquin Phoenix, Franz Rogowski, sind sie förmlich ins Gesicht geschrieben als er im Großmarkt seine neue Stelle beginnt: Neugierde, Ehrfurcht, Ungewissheit, Aufregung, Angst, Begeisterung, Begehren und Frustration. Dafür wurde er auch zurecht mit dem Deutsche Filmpreis 2019 für den besten Hauptdarsteller geehrt.
Es ist ein Eintauchen in einen neuen Mikrokosmos mit eigener Sprachwelt. „Hol mir mal das CC!“ hieß es da in meinem Fall etwa gleich am ersten Tag, an dem mir mehrmals ein Fragezeichen auf der Stirn stand. CC stand für „Container Centralen“, ein Rollwagen mit verstellbaren Fachböden der hauptsächlich im Pflanzenhandel genutzt wird. Zur Info: Großgärtnerei heißt zu 80% Lagerarbeit.
Ins Schwitzen bringt Christian nicht das CC, sondern das noch fehlende Feingefühl bei der Handhabung der „Ameise“ (ein Elektro-Hubwagen, benannt nach dem Hersteller). Doch der ist für ihn noch Tabu. ‚Stapler-Konflikte‘, der Kampf, wer die Stapler fahren darf, gehören zum Alltag in den Gängen des Großmarkts.
Der Film spielt tatsächlich fast ausschließlich im Großmarkt (im Lager, Büro, Aufenthaltsraum, der Verladerampe, am Parkplatz) und nimmt sich viel Zeit für die realitätsnahe Darstellung der Einschulung von Christian; vor allem durch seinen älteren Kollegen Bruno, gespielt von Peter Kurth (bekannt als Oberkommissar in „Babylon Berlin“).
Lediglich die Theorieausbildung zum ‚Flurfördermittelschein‘ (= Staplerschein) ist überzeichnet, belohnt dafür aber mit einem Lacher. Völlig eingeschüchterte junge Männer finden sich in einer Klassensituation dem pädagogisch fragwürdigen Witz des Trainers ausgesetzt und müssen einen Lehrfilm mit Splatter-Elementen in Form einer Doppel-Amputation über sich ergehen lassen. Lektion: Missachtung von Vorschriften endet in einem Blutschwall, und zwar nicht zu gering.
Das Verbot am Stapler mitzufahren ist so eine Vorschrift, erfahren wir vom Trainer. Nur um dann in der nächsten Szene zu erleben, wie Christian Marion (Sandra Hüller, die deutsche Cate Blanchett) am Stapler kutschiert. Willkommen zurück in der Arbeitswirklichkeit. Arbeiter haben eben stets auch ihre eigene Interpretation von Regeln und machen ihre eigenen Gesetze. Die gemeinsame Staplerfahrt von Christian und Marion ist dann auch so etwas wie der Höhepunkt der zarten Romanze zwischen den beiden, natürlich das eigentliche Thema des Films.
Liebesgeschichten, die fast ausschließlich am Arbeitsplatz spielen, sind wohl eher die Ausnahme im Kino, ungeachtet ihrer Bedeutung im echten Arbeitsleben. Dass das durchaus auch seinen Reiz haben kann und gleichzeitig als Milieustudie taugt, zeigt Stubers Film eindrucksvoll.
"In den Gängen", Trailer, German
"In den Gängen", Trailer, German with English Subtitles
Still, In den Gängen
© Polyfilm, Stills, Kamera Peter Matjasko
Still In den Gängen
© Polyfilm, Stills, Kamera Peter Matjasko
Still In den Gängen
© Polyfilm, Stills, Kamera Peter Matjasko
Stapler-Konflikte
Als ich mir 2019 eine kurze Auszeit nahm und ein Volontariat als Hilfsarbeiter in einer Großgärtnerei begann, waren sie alle wieder da: die Gefühle, die man in einem neuen, fremden Job in den ersten Tagen und Wochen nur in dieser Form durchlebt.
In dem deutschen Spielfilm „In den Gängen“ (2018) lässt sich diese spezielle Gefühlwelt von Berufsanfängern in Hilfsberufen wunderbar nachempfinden. Christian, dem Protagonisten des Films, herausragend gespielt vom deutschen Joaquin Phoenix, Franz Rogowski, sind sie förmlich ins Gesicht geschrieben als er im Großmarkt seine neue Stelle beginnt: Neugierde, Ehrfurcht, Ungewissheit, Aufregung, Angst, Begeisterung, Begehren und Frustration. Dafür wurde er auch zurecht mit dem Deutsche Filmpreis 2019 für den besten Hauptdarsteller geehrt.
Es ist ein Eintauchen in einen neuen Mikrokosmos mit eigener Sprachwelt. „Hol mir mal das CC!“ hieß es da in meinem Fall etwa gleich am ersten Tag, an dem mir mehrmals ein Fragezeichen auf der Stirn stand. CC stand für „Container Centralen“, ein Rollwagen mit verstellbaren Fachböden der hauptsächlich im Pflanzenhandel genutzt wird. Zur Info: Großgärtnerei heißt zu 80% Lagerarbeit.
Ins Schwitzen bringt Christian nicht das CC, sondern das noch fehlende Feingefühl bei der Handhabung der „Ameise“ (ein Elektro-Hubwagen, benannt nach dem Hersteller). Doch der ist für ihn noch Tabu. ‚Stapler-Konflikte‘, der Kampf, wer die Stapler fahren darf, gehören zum Alltag in den Gängen des Großmarkts.
Der Film spielt tatsächlich fast ausschließlich im Großmarkt (im Lager, Büro, Aufenthaltsraum, der Verladerampe, am Parkplatz) und nimmt sich viel Zeit für die realitätsnahe Darstellung der Einschulung von Christian; vor allem durch seinen älteren Kollegen Bruno, gespielt von Peter Kurth (bekannt als Oberkommissar in „Babylon Berlin“).
Lediglich die Theorieausbildung zum ‚Flurfördermittelschein‘ (= Staplerschein) ist überzeichnet, belohnt dafür aber mit einem Lacher. Völlig eingeschüchterte junge Männer finden sich in einer Klassensituation dem pädagogisch fragwürdigen Witz des Trainers ausgesetzt und müssen einen Lehrfilm mit Splatter-Elementen in Form einer Doppel-Amputation über sich ergehen lassen. Lektion: Missachtung von Vorschriften endet in einem Blutschwall, und zwar nicht zu gering.
Das Verbot am Stapler mitzufahren ist so eine Vorschrift, erfahren wir vom Trainer. Nur um dann in der nächsten Szene zu erleben, wie Christian Marion (Sandra Hüller, die deutsche Cate Blanchett) am Stapler kutschiert. Willkommen zurück in der Arbeitswirklichkeit. Arbeiter haben eben stets auch ihre eigene Interpretation von Regeln und machen ihre eigenen Gesetze. Die gemeinsame Staplerfahrt von Christian und Marion ist dann auch so etwas wie der Höhepunkt der zarten Romanze zwischen den beiden, natürlich das eigentliche Thema des Films.
Liebesgeschichten, die fast ausschließlich am Arbeitsplatz spielen, sind wohl eher die Ausnahme im Kino, ungeachtet ihrer Bedeutung im echten Arbeitsleben. Dass das durchaus auch seinen Reiz haben kann und gleichzeitig als Milieustudie taugt, zeigt Stubers Film eindrucksvoll.
"In den Gängen", Trailer, German
"In den Gängen", Trailer, German with English Subtitles
Still, In den Gängen
© Polyfilm, Stills, Kamera Peter Matjasko
Still In den Gängen
© Polyfilm, Stills, Kamera Peter Matjasko
Still In den Gängen
© Polyfilm, Stills, Kamera Peter Matjasko
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