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  • Night Mail – Der poetische Blick


    Konrad Wakolbinger

    Als der bedeutende Filmwissenschaftler Amos Vogel 1938 aus Wien in die USA fliehen musste, hatte der 17-jährige bereits die Entscheidung getroffen, sein Leben dem Film zu widmen. Das Erlebenis, das sein Zukunft bestimmen sollte, war das Screening von "Night Mail" (1936) und dieser Film weiss auch heute noch zu beeindrucken.

    In den 1930er Jahren musste die britische Post (General Post Office — GPO) sich abzeich­nen­de Pri­va­ti­sie­rungs­ab­sich­ten abwehren. Die der Post zuge­hö­ri­ge GPO Film Unit erhielt den Auftrag eine Reihe von Filmen zu pro­du­zie­ren die, indem sie den Post­dienst fas­zi­nie­rend dar­stell­ten, das öffent­li­che Ansehen der Ein­rich­tung stärken und gleich­zei­tig die schlechte Moral der Beleg­schaft bekämpfen sollten. Die Regis­seu­re Harry Watt und Basil Wright wurde die Aufgabe über­tra­gen den wich­tigs­ten Postzug, der die Route London-Glasgow-Edinburgh-Aberdeen bedient, zu portraitieren.

    Montiert zur Musik von Benjamin Britten und einem Gedicht von W.D. Auden entfalten die s/w Bilder der Reise des “Postal Special” von London nach Glasgow eine sug­ges­ti­ve Wirkung.

    Ein Schwenk über eine düstere schot­ti­sche Land­schaft, das Pfeifen des Windes wird von einem Beat über­la­gert, im Tal erkennt man den cha­rak­te­ris­ti­schen weissen Rauch einer Dampflok, ein Voice-over im harten Takt der Kolben setzt ein.

    This is the night mail crossing the Border,
    Bringing the cheque and the postal order,
    Letters for the rich, letters for the poor,
    The shop at the corner, the girl next door.

    Der Heizer füttert das Feuer im Kessel mit Kohle, Schaufel um Schaufel. So arbeitet sich der Zug kraftvoll die Berge hinauf.

    In the farm she passes no one wakes,
    But a jug in a bedroom gently shakes.

    Als der Morgen anbricht ist der Aufstieg geschafft. Zu einem erhabenen Score öffnet sich der Blick auf den sich erhel­len­den Himmel und der Lokführer wischt sich den Schweiss von der Stirn.

    Dawn frenshens, Her climb is done.
    Down towards Glasgow she descends

    Im Stakkato der rasanten Talfahrt erfahren wir welche Vielfalt an Briefen, im Grunde die ganze Fülle des Lebens, der Postzug an Bord hat.

    Letters of thanks, letters from banks,
    Letters of joy from girl and boy,
    Clever, stupid, short and long,
    The typed and the printed and the spelt all wrong.

    Es sind wohl diese, als eigen­stän­di­ger Film wahr­nehm­ba­ren, 3:14 am Ende des 23:23 min langen Doku­men­tar­films, die “Night Mail” zu einem Meis­ter­werk machen.

    Dass “Night Mail” kein profaner Imagefilm, sondern dieses Kunstwerk geworden ist, verdanken wir nicht zuletzt John Grierson, einem der Erzähler im Film der das Ende der Roh­schnitt­fas­sung kri­ti­sier­te. Er monierte, dass die Bilder die “Maschi­ne­rie” der Post­ver­tei­lung doku­men­tie­ren, aber die Menschen nicht zeigen welche die Briefe schreiben und empfangen. Daraufhin beschlos­sen die Fil­me­ma­cher eben jene eine Sequenz mit einem zu Musik gespro­che­nen Gedicht zu kreieren.

    Mit den ersten 20 Minuten des Films, der eben diese “Maschi­ne­rie” minutiös zeigt, beschäf­ti­ge ich mich im zweiten Teil von “Night Mail”. Dieser Abschnitt ist kon­ven­tio­nel­ler gestaltet, ermög­licht uns aber auch einen genauen Blick in die Arbeits­welt der 1930er Jahre.

    Night Mail by W H Auden 

    Publicity poster for the documentary film "Night Mail"

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    Night Mail – Der poetische Blick

    Konrad Wakolbinger

    Als der bedeutende Filmwissenschaftler Amos Vogel 1938 aus Wien in die USA fliehen musste, hatte der 17-jährige bereits die Entscheidung getroffen, sein Leben dem Film zu widmen. Das Erlebenis, das sein Zukunft bestimmen sollte, war das Screening von "Night Mail" (1936) und dieser Film weiss auch heute noch zu beeindrucken.

    In den 1930er Jahren musste die britische Post (General Post Office — GPO) sich abzeich­nen­de Pri­va­ti­sie­rungs­ab­sich­ten abwehren. Die der Post zuge­hö­ri­ge GPO Film Unit erhielt den Auftrag eine Reihe von Filmen zu pro­du­zie­ren die, indem sie den Post­dienst fas­zi­nie­rend dar­stell­ten, das öffent­li­che Ansehen der Ein­rich­tung stärken und gleich­zei­tig die schlechte Moral der Beleg­schaft bekämpfen sollten. Die Regis­seu­re Harry Watt und Basil Wright wurde die Aufgabe über­tra­gen den wich­tigs­ten Postzug, der die Route London-Glasgow-Edinburgh-Aberdeen bedient, zu portraitieren.

    Montiert zur Musik von Benjamin Britten und einem Gedicht von W.D. Auden entfalten die s/w Bilder der Reise des “Postal Special” von London nach Glasgow eine sug­ges­ti­ve Wirkung.

    Ein Schwenk über eine düstere schot­ti­sche Land­schaft, das Pfeifen des Windes wird von einem Beat über­la­gert, im Tal erkennt man den cha­rak­te­ris­ti­schen weissen Rauch einer Dampflok, ein Voice-over im harten Takt der Kolben setzt ein.

    This is the night mail crossing the Border,
    Bringing the cheque and the postal order,
    Letters for the rich, letters for the poor,
    The shop at the corner, the girl next door.

    Der Heizer füttert das Feuer im Kessel mit Kohle, Schaufel um Schaufel. So arbeitet sich der Zug kraftvoll die Berge hinauf.

    In the farm she passes no one wakes,
    But a jug in a bedroom gently shakes.

    Als der Morgen anbricht ist der Aufstieg geschafft. Zu einem erhabenen Score öffnet sich der Blick auf den sich erhel­len­den Himmel und der Lokführer wischt sich den Schweiss von der Stirn.

    Dawn frenshens, Her climb is done.
    Down towards Glasgow she descends

    Im Stakkato der rasanten Talfahrt erfahren wir welche Vielfalt an Briefen, im Grunde die ganze Fülle des Lebens, der Postzug an Bord hat.

    Letters of thanks, letters from banks,
    Letters of joy from girl and boy,
    Clever, stupid, short and long,
    The typed and the printed and the spelt all wrong.

    Es sind wohl diese, als eigen­stän­di­ger Film wahr­nehm­ba­ren, 3:14 am Ende des 23:23 min langen Doku­men­tar­films, die “Night Mail” zu einem Meis­ter­werk machen.

    Dass “Night Mail” kein profaner Imagefilm, sondern dieses Kunstwerk geworden ist, verdanken wir nicht zuletzt John Grierson, einem der Erzähler im Film der das Ende der Roh­schnitt­fas­sung kri­ti­sier­te. Er monierte, dass die Bilder die “Maschi­ne­rie” der Post­ver­tei­lung doku­men­tie­ren, aber die Menschen nicht zeigen welche die Briefe schreiben und empfangen. Daraufhin beschlos­sen die Fil­me­ma­cher eben jene eine Sequenz mit einem zu Musik gespro­che­nen Gedicht zu kreieren.

    Mit den ersten 20 Minuten des Films, der eben diese “Maschi­ne­rie” minutiös zeigt, beschäf­ti­ge ich mich im zweiten Teil von “Night Mail”. Dieser Abschnitt ist kon­ven­tio­nel­ler gestaltet, ermög­licht uns aber auch einen genauen Blick in die Arbeits­welt der 1930er Jahre.

    Night Mail by W H Auden

    Publicity poster for the documentary film "Night Mail"

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