• en
  • de


  • Fit mach mit


    Konrad Wakolbinger

    Über den Topos Gesundheit wird eine umfassende Optimierungs- und Steigerungslogik in die Menschen eingepflanzt. Fitness ist einer von mehreren Einflußfaktoren, um den innovativen, individuellen und performativen Unternehmer seiner selbst zu etablieren.

    Rennräder, Lauf­schu­he, Yoga­mat­ten, Fit­ness­cen­ter-Abos, solche Dinge hat man als mit­tel­schich­ti­ger Erste-Welt-Mensch. Einmal im Jahr einen Marathon “finishen” ist für jeden ambi­tio­nier­ten Manager eine stan­des­ge­mä­ße Selbst­ver­pflich­tung. Gibt es noch irgendein großes Unter­neh­men ohne Fit­ness­pro­gramm? Die Gesund­heit und Leis­tungs­fä­hig­keit unserer Mit­ar­bei­ter ist uns schließ­lich wichtig.

    Der kolossale, gestählte, muskulöse Arbei­ter­kör­per in der Bild­spra­che des “Sozia­lis­ti­schen Realismus” ver­kör­per­te das Ideal der heroi­schen Arbeit des “Neuen Menschen” für Fort­schritt und Kom­mu­nis­mus. Die fleißigen, pflicht­be­wuss­ten Arbeiter von General Motors, die mit kol­lek­ti­vem Einsatz die for­dis­ti­sche Mas­sen­pro­duk­ti­on zu immer größerer Effizienz treiben, sind kaum von ihrem sozia­lis­ti­schen Gegenüber zu unter­schei­den. Dann, Mitte der 1970er Jahre beginnend, genau als die Wirt­schafts­ord­nung der Nach­kriegs­zeit die erste große Krise erlebte, wird der gewaltige starke, männliche Körper vom fitten und gesunden Körper von Mann und Frau abgelöst.

    Der erste Star der neuen Fit­ness­be­we­gung war Jane Fonda. Sie verkaufte von ihren Aerobic-Videos mehr als eine Million Kopien und förderte damit sogar die Ver­brei­tung des Video­re­kor­ders. Nach und nach formte sich wieder einmal ein neuer Mensch, diesmal mit schlanken, fitten Körpern für eine neue Form der Ökonomie. Das schlanke, agile Unter­neh­men kann mit “dicken” Menschen nichts anfangen. Die kor­pu­len­ten Menschen zuge­schrie­be­ne kör­per­li­che Trägkeit wird in der post-indus­tri­el­len Ökonomie unmit­tel­bar mit man­geln­der Leistungs- und Erfolgs­fä­hig­keit konnotiert.

    Fitness ist zu einem den Körper über­stei­gen­den Prinzip geworden, das sich auch Psyche (Resilienz, positive Psy­cho­lo­gie), Bezie­hun­gen, Wirt­schaft und Gesell­schaft erschlos­sen hat. Es gibt kein Nach­las­sen, keine Pause und kein Genug. Damit schließt sich Fitness mit öko­no­mi­schen Wachs­tums­zwang und Max Webers pro­tes­tan­ti­schen Geist des Kapi­ta­lis­mus kurz.

     

    Refe­ren­zen:
    Jürgen Mart­schu­kat: Das Zeitalter der Fitness. Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde
    Andreas Reckwitz: Die Gesell­schaft der Singularitäten

     

    Anmerkung zum Titel: „Fit mach mit“ ist der Slogan einer Kampagne aus den 1970er und 80er Jahren, mit der die Öster­rei­chi­sche Bun­des­re­gie­rung einen gesün­de­ren Lebens­stil mit mehr Bewegung propagierte.

    Jane Fona Workout Videos Promo (1988) - Youtube 

    From Dawn to Sunset 1937, Preilinger Archives/Archive.org, Public Domain 

    Arbeiter und Kolchosbauern, Statue Moskau 1939

    Tags

    Fit mach mit

    Konrad Wakolbinger

    Über den Topos Gesundheit wird eine umfassende Optimierungs- und Steigerungslogik in die Menschen eingepflanzt. Fitness ist einer von mehreren Einflußfaktoren, um den innovativen, individuellen und performativen Unternehmer seiner selbst zu etablieren.

    Rennräder, Lauf­schu­he, Yoga­mat­ten, Fit­ness­cen­ter-Abos, solche Dinge hat man als mit­tel­schich­ti­ger Erste-Welt-Mensch. Einmal im Jahr einen Marathon “finishen” ist für jeden ambi­tio­nier­ten Manager eine stan­des­ge­mä­ße Selbst­ver­pflich­tung. Gibt es noch irgendein großes Unter­neh­men ohne Fit­ness­pro­gramm? Die Gesund­heit und Leis­tungs­fä­hig­keit unserer Mit­ar­bei­ter ist uns schließ­lich wichtig.

    Der kolossale, gestählte, muskulöse Arbei­ter­kör­per in der Bild­spra­che des “Sozia­lis­ti­schen Realismus” ver­kör­per­te das Ideal der heroi­schen Arbeit des “Neuen Menschen” für Fort­schritt und Kom­mu­nis­mus. Die fleißigen, pflicht­be­wuss­ten Arbeiter von General Motors, die mit kol­lek­ti­vem Einsatz die for­dis­ti­sche Mas­sen­pro­duk­ti­on zu immer größerer Effizienz treiben, sind kaum von ihrem sozia­lis­ti­schen Gegenüber zu unter­schei­den. Dann, Mitte der 1970er Jahre beginnend, genau als die Wirt­schafts­ord­nung der Nach­kriegs­zeit die erste große Krise erlebte, wird der gewaltige starke, männliche Körper vom fitten und gesunden Körper von Mann und Frau abgelöst.

    Der erste Star der neuen Fit­ness­be­we­gung war Jane Fonda. Sie verkaufte von ihren Aerobic-Videos mehr als eine Million Kopien und förderte damit sogar die Ver­brei­tung des Video­re­kor­ders. Nach und nach formte sich wieder einmal ein neuer Mensch, diesmal mit schlanken, fitten Körpern für eine neue Form der Ökonomie. Das schlanke, agile Unter­neh­men kann mit “dicken” Menschen nichts anfangen. Die kor­pu­len­ten Menschen zuge­schrie­be­ne kör­per­li­che Trägkeit wird in der post-indus­tri­el­len Ökonomie unmit­tel­bar mit man­geln­der Leistungs- und Erfolgs­fä­hig­keit konnotiert.

    Fitness ist zu einem den Körper über­stei­gen­den Prinzip geworden, das sich auch Psyche (Resilienz, positive Psy­cho­lo­gie), Bezie­hun­gen, Wirt­schaft und Gesell­schaft erschlos­sen hat. Es gibt kein Nach­las­sen, keine Pause und kein Genug. Damit schließt sich Fitness mit öko­no­mi­schen Wachs­tums­zwang und Max Webers pro­tes­tan­ti­schen Geist des Kapi­ta­lis­mus kurz.

     

    Refe­ren­zen:
    Jürgen Mart­schu­kat: Das Zeitalter der Fitness. Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde
    Andreas Reckwitz: Die Gesell­schaft der Singularitäten

     

    Anmerkung zum Titel: „Fit mach mit“ ist der Slogan einer Kampagne aus den 1970er und 80er Jahren, mit der die Öster­rei­chi­sche Bun­des­re­gie­rung einen gesün­de­ren Lebens­stil mit mehr Bewegung propagierte.

    Jane Fona Workout Videos Promo (1988) - Youtube

    From Dawn to Sunset 1937, Preilinger Archives/Archive.org, Public Domain

    Arbeiter und Kolchosbauern, Statue Moskau 1939

    Tags


    Erwin und Elvira, der oder die Schlachter:in

    Erwin und Elvira, der oder die Schlachter:in

    Fassbinders herausragendes Melodram „In einem Jahr mit 13 Monden“ (1978) ist ein anhaltend aktueller Beitrag zur heutigen Identitätspolitikdebatte und ein eindringliches Ausrufezeichen für anti-stereotype Berufsausübung.

    Die alte Angst vor dem Ende der neuen Arbeit

    Die alte Angst vor dem Ende der neuen Arbeit

    Jeder freut sich auf das Ende eines Arbeitstages, aber nicht über das Ende der Arbeit selbst. Die Furcht vor der Automatisierung und dem Ende der Arbeit ist ein alter Topos, wie etwa auch Werbefilme der 1950er Jahre bezeugen.

    Superkräfte im Job

    Super­kräf­te im Job

    Was tun mit übermenschlichen Fähigkeiten im Job? Die bekannten Superhelden geben dazu wenig Auskunft. Ein Troll in einem der außergewöhnlichsten schwedischen Filme der letzten Jahre (Border, 2018) umso mehr.

    Als die Wirtschaftsbilder laufen lernten

    Als die Wirt­schafts­bil­der laufen lernten

    Ein aktuelles Buch stellt uns den bedeutenden Erkenntnistheoretiker Michael Polanyi als Wirtschaftsdidaktiker vor und erinnert an seinen noch heute sehenswerten Lehrfilm „Unemployment and Money“ (1940).

    Adolf Hennecke - Held der Produktionsschlacht

    Adolf Hennecke — Held der Produktionsschlacht

    Wo die Arbeit und das Heroische verschmelzen: Die Glorifizierung der Arbeit im Realsozialismus.

    Die Gesten der Bäcker: ein professioneller Klassiker?

    Die Gesten der Bäcker: ein pro­fes­sio­nel­ler Klassiker?

    Im zeitgenössischen Kino hinterfragen wir selten die völlig aus der Zeit gefallene Bilder von Bäckern und Bäckerinnen bei ihrer Arbeit in der Backstube, etwa in Antoine Fontaines «Gemma Bovery» von 2014 (Gemma Bovery - Bande annonce - YouTube) oder Luke Jins Kurzfilm «La Boulangerie» von 2017 (La Boulangerie (Short Film) on Vimeo). Sollten wir aber!

    1 24 25 26 27 28 48


    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit. Wir arbeiten beide in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.