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  • Fischli und Weiss als DIY


    Jörg Markowitsch

    Ein junger Youtuber hat vermutlich unwissentlich ein Remake des berühmten Kunstvideos „Der Lauf der Dinge“ (1987) von Fischli und Weiss gedreht und wirft damit interessante Fragen zum Verhältnis von Kunst, professionellem Handwerk und Do-it-yourself auf.

    Ich bin ein Fan von Fischli und Weiss, seit ich Ende der 1980er erstmals Werke des Schweizer Künst­ler­du­os sah. Der phi­lo­so­phi­sche Witz ihrer Arbeiten hat mir sofort imponiert. Es ist nicht die Art von Kunst, die man lange studieren muss. Wenn nicht beim ersten, so offenbart sich diese spä­tes­tens beim zweiten Blick.

    Etwa ihre Instal­la­ti­on „Der Tisch“ (1992/93), scheinbar wahllos auf einer langen Tafel ange­ord­ne­te All­tags­ge­gen­stän­de wie Kübel, Putz­mit­tel, Pinsel, volle Aschen­be­cher, Farbdosen u.a.m. Als ich die Instal­la­ti­on in der alten Kunst­hal­le Wien (der “Krischa­nitz-Container“) sah, dachte ich erst, es sei ein schlech­ter Scherz. Wie könne man vier Genera­tio­nen nach Marcel Duchamps weiterhin Rea­dy­ma­des aus­stel­len, indem man einfach den Unrat des eigenen Ateliers auf einen Tisch kippt? Nach Hinweis meines kunst­be­flis­se­ne­ren Beglei­ters und auf den zweiten Blick wurde klar: Hier handelt es sich nicht um „echte“ Gegen­stän­de, sondern um minutiös per Hand nach­ge­bau­te und bemalte Objekte aus Poly­ure­than. Wie genial ist das!? Noch direkter, als mit derart enormen hand­werk­li­chem Aufwand und Kunstsinn, lassen sich indus­tri­el­le Pro­duk­ti­ons­wei­sen und Kon­sum­ge­sell­schaft wohl kaum hinterfragen.

    Genauso gewitzt ist ihr Film „Der Lauf der Dinge“, urauf­ge­führt bei der Documenta 8 in Kassel. Es war der erste Kunstfilm, den ich glei­cher­ma­ßen phi­lo­so­phisch wie spannend und unter­halt­sam fand. Wenn­gleich mir bis heute nicht klar ist, ob er in erster Linie den Phi­lo­so­phen, den Bastler oder das Kind in mir anspricht.

    Der Kurzfilm zeigt eine Art Domino-Effekt, wobei die einzelnen Steine aus einer Anein­an­der­rei­hung von impro­vi­siert wirkenden Vor­rich­tun­gen aus Brettern, Leitern, Auto­rei­fen, Plas­tik­fla­schen, Feu­er­werks­kör­per, Luft­bal­lons und ähnlichem bestehen. Die Kamera folgt dann der Ket­ten­re­ak­ti­on, bei der unter­schied­li­che phy­si­ka­li­sche und chemische Prin­zi­pi­en zum Einsatz kommen: es fällt, rollt, platzt, schwingt, schäumt, brennt, raucht. Die Dinge nehmen ihren Lauf und man kommt nicht umhin während der Betrach­tung zu rätseln „Geht sich’s aus?“ und hierauf zu reflek­tie­ren: „Wie weit ist der Lauf des Lebens kausal?“

    Der junge Youtuber Creezy hat letztes Jahr ein weniger gewitztes, aber ebenso unter­halt­sa­mes Video ver­öf­fent­licht, bei dem ich sofort an Fischli und Weiss denken musste. Aus diversen Gegen­stän­den, die sich so in einem belie­bi­gen Haushalt mit Garten ange­sam­melt haben können, baute er eine Art Rube-Goldberg-Maschine, deren Ablauf die Kamera — wie bei Fischli und Weiss — in einem Take folgt. Im Vergleich zum kon­tem­pla­ti­ven Original werden Merkmale der Gegenwart jedoch offen­sicht­lich: Das Video ist kürzer, dyna­mi­scher, in den phy­si­ka­li­schen Optionen ein­ge­schränkt und nur auf Unter­hal­tung und Klicks (über 4 Mio.) aus. Es bleibt keine Zeit zur Reflexion und es stößt eine solche auch nicht an. Und doch: es ist ein Höhepunkt einer DIY-Kultur und inter­es­san­ter Gegenpol zur zeit­ge­nös­si­schen Kunst. Scheinbar, wie ich meine.

    Beide Werke erfordern her­aus­ra­gen­de Krea­ti­vi­tät, enormes hand­werk­li­ches Geschick sowie Pro­fes­sio­na­li­tät. Gleich­zei­tig sind sie in der Ver­wei­ge­rung jeglichen prak­ti­schen Nutzens, ja Ver­kom­pli­zie­rung der Aufgabe, eine Pro­vo­ka­ti­on für den Anspruch, den sowohl moderne Technik als auch tra­di­tio­nel­les Handwerk in ihrer Instru­men­ta­li­tät an sich stellen. Mit Heidegger sprechend würde ich meinen, es handelt sich in beiden Fällen um „techne“, also glei­cher­ma­ßen das hand­werk­li­che Tun und Können als auch die hohe Kunst und die schönen Künste: „Die techne gehört zum Her-vor-bringen, zur poiesis. Sie ist etwas Poie­ti­sches.“ (Heidegger, 1962, S. 11).  Dort heißt es weiter: „Das Wort techne geht […] mit dem Wort episteme zusammen. Beide Worte sind Namen für das Erkennen im weitesten Sinne. Sie meinen das Sich­aus­ken­nen in etwas, das Sich­ver­ste­hen auf etwas.“ (ibid.) Handelt es sich im Fall von Creezy nun auch um Kunst oder schlicht eine DIY-Spielerei?

     

    Refe­ren­zen:
    Heidegger, Martin (1991). Die Technik und die Kehre: Günther Neske Pfullingen.
    Goldmann, R. (2006). Peter Fischli David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Aus­stel­lun­gen. Ein offener Index. Köln: Verlag der Buch­hand­lung Walther König.

     

    Ausschnitt aus „Der Lauf der Dinge“, Fischli und Weiss, 1987, 3min 

    The Swish Machine, Creezy, 2020, 3min 

    Der Tisch, 1992/93, Fischli und Weiss, Tisch mit etwa 750 Objekten aus Polyurethan

    Fischli and Weiss’s “Untitled” (1994-2013)

    Auswahl an Gegenständen, die Cree Ossner (“Creezy“) für seine "Swish Machine" verwendet hat.

    Der Lauf der Dinge,1987, Filmstill

    Der Lauf der Dinge,1987, Filmstill

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    Fischli und Weiss als DIY

    Jörg Markowitsch

    Ein junger Youtuber hat vermutlich unwissentlich ein Remake des berühmten Kunstvideos „Der Lauf der Dinge“ (1987) von Fischli und Weiss gedreht und wirft damit interessante Fragen zum Verhältnis von Kunst, professionellem Handwerk und Do-it-yourself auf.

    Ich bin ein Fan von Fischli und Weiss, seit ich Ende der 1980er erstmals Werke des Schweizer Künst­ler­du­os sah. Der phi­lo­so­phi­sche Witz ihrer Arbeiten hat mir sofort imponiert. Es ist nicht die Art von Kunst, die man lange studieren muss. Wenn nicht beim ersten, so offenbart sich diese spä­tes­tens beim zweiten Blick.

    Etwa ihre Instal­la­ti­on „Der Tisch“ (1992/93), scheinbar wahllos auf einer langen Tafel ange­ord­ne­te All­tags­ge­gen­stän­de wie Kübel, Putz­mit­tel, Pinsel, volle Aschen­be­cher, Farbdosen u.a.m. Als ich die Instal­la­ti­on in der alten Kunst­hal­le Wien (der “Krischa­nitz-Container“) sah, dachte ich erst, es sei ein schlech­ter Scherz. Wie könne man vier Genera­tio­nen nach Marcel Duchamps weiterhin Rea­dy­ma­des aus­stel­len, indem man einfach den Unrat des eigenen Ateliers auf einen Tisch kippt? Nach Hinweis meines kunst­be­flis­se­ne­ren Beglei­ters und auf den zweiten Blick wurde klar: Hier handelt es sich nicht um „echte“ Gegen­stän­de, sondern um minutiös per Hand nach­ge­bau­te und bemalte Objekte aus Poly­ure­than. Wie genial ist das!? Noch direkter, als mit derart enormen hand­werk­li­chem Aufwand und Kunstsinn, lassen sich indus­tri­el­le Pro­duk­ti­ons­wei­sen und Kon­sum­ge­sell­schaft wohl kaum hinterfragen.

    Genauso gewitzt ist ihr Film „Der Lauf der Dinge“, urauf­ge­führt bei der Documenta 8 in Kassel. Es war der erste Kunstfilm, den ich glei­cher­ma­ßen phi­lo­so­phisch wie spannend und unter­halt­sam fand. Wenn­gleich mir bis heute nicht klar ist, ob er in erster Linie den Phi­lo­so­phen, den Bastler oder das Kind in mir anspricht.

    Der Kurzfilm zeigt eine Art Domino-Effekt, wobei die einzelnen Steine aus einer Anein­an­der­rei­hung von impro­vi­siert wirkenden Vor­rich­tun­gen aus Brettern, Leitern, Auto­rei­fen, Plas­tik­fla­schen, Feu­er­werks­kör­per, Luft­bal­lons und ähnlichem bestehen. Die Kamera folgt dann der Ket­ten­re­ak­ti­on, bei der unter­schied­li­che phy­si­ka­li­sche und chemische Prin­zi­pi­en zum Einsatz kommen: es fällt, rollt, platzt, schwingt, schäumt, brennt, raucht. Die Dinge nehmen ihren Lauf und man kommt nicht umhin während der Betrach­tung zu rätseln „Geht sich’s aus?“ und hierauf zu reflek­tie­ren: „Wie weit ist der Lauf des Lebens kausal?“

    Der junge Youtuber Creezy hat letztes Jahr ein weniger gewitztes, aber ebenso unter­halt­sa­mes Video ver­öf­fent­licht, bei dem ich sofort an Fischli und Weiss denken musste. Aus diversen Gegen­stän­den, die sich so in einem belie­bi­gen Haushalt mit Garten ange­sam­melt haben können, baute er eine Art Rube-Goldberg-Maschine, deren Ablauf die Kamera — wie bei Fischli und Weiss — in einem Take folgt. Im Vergleich zum kon­tem­pla­ti­ven Original werden Merkmale der Gegenwart jedoch offen­sicht­lich: Das Video ist kürzer, dyna­mi­scher, in den phy­si­ka­li­schen Optionen ein­ge­schränkt und nur auf Unter­hal­tung und Klicks (über 4 Mio.) aus. Es bleibt keine Zeit zur Reflexion und es stößt eine solche auch nicht an. Und doch: es ist ein Höhepunkt einer DIY-Kultur und inter­es­san­ter Gegenpol zur zeit­ge­nös­si­schen Kunst. Scheinbar, wie ich meine.

    Beide Werke erfordern her­aus­ra­gen­de Krea­ti­vi­tät, enormes hand­werk­li­ches Geschick sowie Pro­fes­sio­na­li­tät. Gleich­zei­tig sind sie in der Ver­wei­ge­rung jeglichen prak­ti­schen Nutzens, ja Ver­kom­pli­zie­rung der Aufgabe, eine Pro­vo­ka­ti­on für den Anspruch, den sowohl moderne Technik als auch tra­di­tio­nel­les Handwerk in ihrer Instru­men­ta­li­tät an sich stellen. Mit Heidegger sprechend würde ich meinen, es handelt sich in beiden Fällen um „techne“, also glei­cher­ma­ßen das hand­werk­li­che Tun und Können als auch die hohe Kunst und die schönen Künste: „Die techne gehört zum Her-vor-bringen, zur poiesis. Sie ist etwas Poie­ti­sches.“ (Heidegger, 1962, S. 11).  Dort heißt es weiter: „Das Wort techne geht […] mit dem Wort episteme zusammen. Beide Worte sind Namen für das Erkennen im weitesten Sinne. Sie meinen das Sich­aus­ken­nen in etwas, das Sich­ver­ste­hen auf etwas.“ (ibid.) Handelt es sich im Fall von Creezy nun auch um Kunst oder schlicht eine DIY-Spielerei?

     

    Refe­ren­zen:
    Heidegger, Martin (1991). Die Technik und die Kehre: Günther Neske Pfullingen.
    Goldmann, R. (2006). Peter Fischli David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Aus­stel­lun­gen. Ein offener Index. Köln: Verlag der Buch­hand­lung Walther König.

     

    Ausschnitt aus „Der Lauf der Dinge“, Fischli und Weiss, 1987, 3min

    The Swish Machine, Creezy, 2020, 3min

    Der Tisch, 1992/93, Fischli und Weiss, Tisch mit etwa 750 Objekten aus Polyurethan

    Fischli and Weiss’s “Untitled” (1994-2013)

    Auswahl an Gegenständen, die Cree Ossner (“Creezy“) für seine "Swish Machine" verwendet hat.

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    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

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