Fischli und Weiss als DIY
Ich bin ein Fan von Fischli und Weiss, seit ich Ende der 1980er erstmals Werke des Schweizer Künstlerduos sah. Der philosophische Witz ihrer Arbeiten hat mir sofort imponiert. Es ist nicht die Art von Kunst, die man lange studieren muss. Wenn nicht beim ersten, so offenbart sich diese spätestens beim zweiten Blick.
Etwa ihre Installation „Der Tisch“ (1992/93), scheinbar wahllos auf einer langen Tafel angeordnete Alltagsgegenstände wie Kübel, Putzmittel, Pinsel, volle Aschenbecher, Farbdosen u.a.m. Als ich die Installation in der alten Kunsthalle Wien (der “Krischanitz-Container“) sah, dachte ich erst, es sei ein schlechter Scherz. Wie könne man vier Generationen nach Marcel Duchamps weiterhin Readymades ausstellen, indem man einfach den Unrat des eigenen Ateliers auf einen Tisch kippt? Nach Hinweis meines kunstbeflisseneren Begleiters und auf den zweiten Blick wurde klar: Hier handelt es sich nicht um „echte“ Gegenstände, sondern um minutiös per Hand nachgebaute und bemalte Objekte aus Polyurethan. Wie genial ist das!? Noch direkter, als mit derart enormen handwerklichem Aufwand und Kunstsinn, lassen sich industrielle Produktionsweisen und Konsumgesellschaft wohl kaum hinterfragen.
Genauso gewitzt ist ihr Film „Der Lauf der Dinge“, uraufgeführt bei der Documenta 8 in Kassel. Es war der erste Kunstfilm, den ich gleichermaßen philosophisch wie spannend und unterhaltsam fand. Wenngleich mir bis heute nicht klar ist, ob er in erster Linie den Philosophen, den Bastler oder das Kind in mir anspricht.
Der Kurzfilm zeigt eine Art Domino-Effekt, wobei die einzelnen Steine aus einer Aneinanderreihung von improvisiert wirkenden Vorrichtungen aus Brettern, Leitern, Autoreifen, Plastikflaschen, Feuerwerkskörper, Luftballons und ähnlichem bestehen. Die Kamera folgt dann der Kettenreaktion, bei der unterschiedliche physikalische und chemische Prinzipien zum Einsatz kommen: es fällt, rollt, platzt, schwingt, schäumt, brennt, raucht. Die Dinge nehmen ihren Lauf und man kommt nicht umhin während der Betrachtung zu rätseln „Geht sich’s aus?“ und hierauf zu reflektieren: „Wie weit ist der Lauf des Lebens kausal?“
Der junge Youtuber Creezy hat letztes Jahr ein weniger gewitztes, aber ebenso unterhaltsames Video veröffentlicht, bei dem ich sofort an Fischli und Weiss denken musste. Aus diversen Gegenständen, die sich so in einem beliebigen Haushalt mit Garten angesammelt haben können, baute er eine Art Rube-Goldberg-Maschine, deren Ablauf die Kamera — wie bei Fischli und Weiss — in einem Take folgt. Im Vergleich zum kontemplativen Original werden Merkmale der Gegenwart jedoch offensichtlich: Das Video ist kürzer, dynamischer, in den physikalischen Optionen eingeschränkt und nur auf Unterhaltung und Klicks (über 4 Mio.) aus. Es bleibt keine Zeit zur Reflexion und es stößt eine solche auch nicht an. Und doch: es ist ein Höhepunkt einer DIY-Kultur und interessanter Gegenpol zur zeitgenössischen Kunst. Scheinbar, wie ich meine.
Beide Werke erfordern herausragende Kreativität, enormes handwerkliches Geschick sowie Professionalität. Gleichzeitig sind sie in der Verweigerung jeglichen praktischen Nutzens, ja Verkomplizierung der Aufgabe, eine Provokation für den Anspruch, den sowohl moderne Technik als auch traditionelles Handwerk in ihrer Instrumentalität an sich stellen. Mit Heidegger sprechend würde ich meinen, es handelt sich in beiden Fällen um „techne“, also gleichermaßen das handwerkliche Tun und Können als auch die hohe Kunst und die schönen Künste: „Die techne gehört zum Her-vor-bringen, zur poiesis. Sie ist etwas Poietisches.“ (Heidegger, 1962, S. 11). Dort heißt es weiter: „Das Wort techne geht […] mit dem Wort episteme zusammen. Beide Worte sind Namen für das Erkennen im weitesten Sinne. Sie meinen das Sichauskennen in etwas, das Sichverstehen auf etwas.“ (ibid.) Handelt es sich im Fall von Creezy nun auch um Kunst oder schlicht eine DIY-Spielerei?
Referenzen:
Heidegger, Martin (1991). Die Technik und die Kehre: Günther Neske Pfullingen.
Goldmann, R. (2006). Peter Fischli David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Ausstellungen. Ein offener Index. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König.
Ausschnitt aus „Der Lauf der Dinge“, Fischli und Weiss, 1987, 3min
The Swish Machine, Creezy, 2020, 3min
Der Tisch, 1992/93, Fischli und Weiss, Tisch mit etwa 750 Objekten aus Polyurethan
© Fischli und Weiss
Fischli and Weiss’s “Untitled” (1994-2013)
© Philip Greenberg for The New York Times
Auswahl an Gegenständen, die Cree Ossner (“Creezy“) für seine "Swish Machine" verwendet hat.
© Cree Ossner
Der Lauf der Dinge,1987, Filmstill
© Fischli und Weiss
Der Lauf der Dinge,1987, Filmstill
© Fischli und Weiss
Fischli und Weiss als DIY
Ich bin ein Fan von Fischli und Weiss, seit ich Ende der 1980er erstmals Werke des Schweizer Künstlerduos sah. Der philosophische Witz ihrer Arbeiten hat mir sofort imponiert. Es ist nicht die Art von Kunst, die man lange studieren muss. Wenn nicht beim ersten, so offenbart sich diese spätestens beim zweiten Blick.
Etwa ihre Installation „Der Tisch“ (1992/93), scheinbar wahllos auf einer langen Tafel angeordnete Alltagsgegenstände wie Kübel, Putzmittel, Pinsel, volle Aschenbecher, Farbdosen u.a.m. Als ich die Installation in der alten Kunsthalle Wien (der “Krischanitz-Container“) sah, dachte ich erst, es sei ein schlechter Scherz. Wie könne man vier Generationen nach Marcel Duchamps weiterhin Readymades ausstellen, indem man einfach den Unrat des eigenen Ateliers auf einen Tisch kippt? Nach Hinweis meines kunstbeflisseneren Begleiters und auf den zweiten Blick wurde klar: Hier handelt es sich nicht um „echte“ Gegenstände, sondern um minutiös per Hand nachgebaute und bemalte Objekte aus Polyurethan. Wie genial ist das!? Noch direkter, als mit derart enormen handwerklichem Aufwand und Kunstsinn, lassen sich industrielle Produktionsweisen und Konsumgesellschaft wohl kaum hinterfragen.
Genauso gewitzt ist ihr Film „Der Lauf der Dinge“, uraufgeführt bei der Documenta 8 in Kassel. Es war der erste Kunstfilm, den ich gleichermaßen philosophisch wie spannend und unterhaltsam fand. Wenngleich mir bis heute nicht klar ist, ob er in erster Linie den Philosophen, den Bastler oder das Kind in mir anspricht.
Der Kurzfilm zeigt eine Art Domino-Effekt, wobei die einzelnen Steine aus einer Aneinanderreihung von improvisiert wirkenden Vorrichtungen aus Brettern, Leitern, Autoreifen, Plastikflaschen, Feuerwerkskörper, Luftballons und ähnlichem bestehen. Die Kamera folgt dann der Kettenreaktion, bei der unterschiedliche physikalische und chemische Prinzipien zum Einsatz kommen: es fällt, rollt, platzt, schwingt, schäumt, brennt, raucht. Die Dinge nehmen ihren Lauf und man kommt nicht umhin während der Betrachtung zu rätseln „Geht sich’s aus?“ und hierauf zu reflektieren: „Wie weit ist der Lauf des Lebens kausal?“
Der junge Youtuber Creezy hat letztes Jahr ein weniger gewitztes, aber ebenso unterhaltsames Video veröffentlicht, bei dem ich sofort an Fischli und Weiss denken musste. Aus diversen Gegenständen, die sich so in einem beliebigen Haushalt mit Garten angesammelt haben können, baute er eine Art Rube-Goldberg-Maschine, deren Ablauf die Kamera — wie bei Fischli und Weiss — in einem Take folgt. Im Vergleich zum kontemplativen Original werden Merkmale der Gegenwart jedoch offensichtlich: Das Video ist kürzer, dynamischer, in den physikalischen Optionen eingeschränkt und nur auf Unterhaltung und Klicks (über 4 Mio.) aus. Es bleibt keine Zeit zur Reflexion und es stößt eine solche auch nicht an. Und doch: es ist ein Höhepunkt einer DIY-Kultur und interessanter Gegenpol zur zeitgenössischen Kunst. Scheinbar, wie ich meine.
Beide Werke erfordern herausragende Kreativität, enormes handwerkliches Geschick sowie Professionalität. Gleichzeitig sind sie in der Verweigerung jeglichen praktischen Nutzens, ja Verkomplizierung der Aufgabe, eine Provokation für den Anspruch, den sowohl moderne Technik als auch traditionelles Handwerk in ihrer Instrumentalität an sich stellen. Mit Heidegger sprechend würde ich meinen, es handelt sich in beiden Fällen um „techne“, also gleichermaßen das handwerkliche Tun und Können als auch die hohe Kunst und die schönen Künste: „Die techne gehört zum Her-vor-bringen, zur poiesis. Sie ist etwas Poietisches.“ (Heidegger, 1962, S. 11). Dort heißt es weiter: „Das Wort techne geht […] mit dem Wort episteme zusammen. Beide Worte sind Namen für das Erkennen im weitesten Sinne. Sie meinen das Sichauskennen in etwas, das Sichverstehen auf etwas.“ (ibid.) Handelt es sich im Fall von Creezy nun auch um Kunst oder schlicht eine DIY-Spielerei?
Referenzen:
Heidegger, Martin (1991). Die Technik und die Kehre: Günther Neske Pfullingen.
Goldmann, R. (2006). Peter Fischli David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Ausstellungen. Ein offener Index. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König.
Ausschnitt aus „Der Lauf der Dinge“, Fischli und Weiss, 1987, 3min
The Swish Machine, Creezy, 2020, 3min
Der Tisch, 1992/93, Fischli und Weiss, Tisch mit etwa 750 Objekten aus Polyurethan
© Fischli und Weiss
Fischli and Weiss’s “Untitled” (1994-2013)
© Philip Greenberg for The New York Times
Auswahl an Gegenständen, die Cree Ossner (“Creezy“) für seine "Swish Machine" verwendet hat.
© Cree Ossner
Der Lauf der Dinge,1987, Filmstill
© Fischli und Weiss
Der Lauf der Dinge,1987, Filmstill
© Fischli und Weiss
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Über diesen Blog
Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes veranschaulicht dieser Blog buchstäblich das weite Feld der Arbeit, Beschäftigung und Bildung in einer offenen Sammlung akademischer, künstlerischer und auch anekdotischer Erkenntnisse.
Über uns
Konrad Wakolbinger dreht Dokumentarfilme über Arbeit und Leben. Jörg Markowitsch forscht zu Bildung und Arbeit. Beide leben in Wien. Informationen zu Gastautoren und ‑autorinnen finden sich bei ihren jeweiligen Beiträgen
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Interesse an mehr? Wir haben hier Empfehlungen zu einschlägigen Festivals, Filmsammlungen und Literatur zusammengestellt.
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