Was ist Arbeit?
Auch das Graben und der richtige Umgang mit dem Spaten will gelernt sein. Dies war mitunter eine der wertvollsten Erfahrungen, die mich serbische und rumänische Saisonarbeiter lehrten. Zu meinem 50.Geburtstag hatte ich mir selbst ein Volontariat in einem Gartenbaubetrieb geschenkt. Beim gemeinsamen Ausgraben von mehreren hundert Heckenpflanzen wurde deutlich: Die Männer wissen nicht nur, wie man den Spaten richtig ansetzt, damit der Wurzelballen nicht zerfällt; sie wissen auch um das richtige Arbeitstempo und die notwendigen Pausen, um ohne Schmerzen durch den Tag und die Arbeitswoche zu kommen. An dieser Stelle: Danke für die Lehre!
„Man muss geschmeidig arbeiten, seine Bewegungen überwachen. Nur wenn man die Spitzhacke gut kennt, handhabt man sie richtig. Die Erdarbeiter bedienen sich ihrer mit sparsamem Kraftaufwand. Ihre Bewegungen sind überlegt und wohlbemessen. Es verlangt Geschicklichkeit, die Schaufel ohne übermäßige Anstrengung zu handhaben und täglich das gleiche Arbeitspensum zu schaffen. (…) Wenn die Erde gut ist, schön rutscht und auf der Schaufel singt, gibt es, bevor die Ermüdung einsetzt, wenigstens eine Stunde am Tag, in der sich der Körper glücklich fühlt.“ Das schreibt der Arbeiterschriftsteller George Navel über Erdarbeiter in seinem Erstlingswerk „Travaux“ (1945, zu Deutsch: „Werktage“).
Den Hinweis auf Navel und dieses Zitat verdanke ich Olivier Favereau, emeritierter französischer Arbeitsökonom. Er sieht darin ein Beispiel, dass selbst die niedrigsten Arbeiten zeitweise Glück und Zufriedenheit bescheren. Und er meint es nicht zynisch. Favereau ist einer von 21 Wissenschafter:innen, die in der Dokumentation „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019) von Gérard Mordillat und Bertrand Rothé über Arbeit, Beschäftigung, Lohn, Kapital und Profit reflektieren.
Die Art und Weise, wie die Interviews zusammengeschnitten wurden, fördert Erkenntnis durch Gegenüberstellung. So erklärt der eine den Ursprung von „travailler“ (arbeiten) mal mit Verweis auf ein Folterinstrument und im Gegensatz zum schöpferischen Englischen „work“, ein anderer sieht darin den Schöpfungsakt schlecht hin, bezeichnet „travailler“ doch ursprünglich auch „in den Wehen liegen“. Der Großteil der Reflexionen und Anekdoten sind äußerst anregend und durchwegs kritisch. Da wird ordentlich auf den Kopf gestellt und vor den Kopf gestoßen. Etwa dass es sich beim Arbeitsmarkt um einen Markt von Angebot und Nachfrage handle, streiten sonst Ökonomen eher selten ab.
Die Dokumentation eignet sich zum einen als Einführung in das Werk von Karl Marx, zum anderen bietet sie Einblicke in zeitgenössische ökonomische, soziologische und anthropologische Theorien zur Arbeit. Sie ist aber sicher auch für Fachleute lohnend, da man Bekanntschaft mit exzellente Forscher:innen macht, die bislang wenig bis gar nicht ins Deutsche oder Englische übersetzt wurden. Etwa die Soziologin Danièle Linhart, die seit den 1980ern zur Rolle der Arbeit in der Gesellschaft forscht oder Frédéric Lordon, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler an der Sorbonne, der auch als intellektueller Kopf der Protestbewegung „Nuit debout“ gilt. Daneben finden sich jedoch auch im deutschsprachigen Raum bekannte Namen wie etwa David Graeber.
Die sechs Teile zu je fast einer Stunde sind neben einer gelegentlichen Erzählstimme ausschließlich aus Interviews der Forscher:innen vor neutralem schwarzen Hintergrund montiert. Das fördert zwar die Konzentration auf das gesprochene Wort, ermüdet aber auch den Sehnerv. Als Hörbuch funktioniert die Dokumentation hingegen hervorragend. So gut, dass man einzelne Passagen zweimal hören will.
Eine deutsche und französische Version von „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019) sind auf Arte, YouTube und Archive.org zu sehen bzw. hören.
Referenzen:
Linhart, Danièle (2015). La comédie humaine du travail. De la déshumanisation taylorienne à la sur-humanisation managériale, Paris: Erès.
Lordon, Frédéric (2014). Willing slaves of capital: Spinoza and Marx on desire. Verso Trade, 2014.
Navel, George (1945), Travaux. Paris: Stock (1950 auf Deutsch erschienen als „Werktage. Roman eines französischen Arbeiters, Berlin: Aufbau)
'Travail, salaire, profit' (Arbeit. Lohn, Profit), 2019, France, Gérard Mordillat und Bertrand Rothé
Danièle Linhart, Soziologin, „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019), Filmstil
© Arte
Frédéric Lordon, Ökonom und Philosoph, „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019), Filmstil
© Arte
Iranian Railway Worker
© Photo by Javad Esmaeili on Unsplash
Was ist Arbeit?
Auch das Graben und der richtige Umgang mit dem Spaten will gelernt sein. Dies war mitunter eine der wertvollsten Erfahrungen, die mich serbische und rumänische Saisonarbeiter lehrten. Zu meinem 50.Geburtstag hatte ich mir selbst ein Volontariat in einem Gartenbaubetrieb geschenkt. Beim gemeinsamen Ausgraben von mehreren hundert Heckenpflanzen wurde deutlich: Die Männer wissen nicht nur, wie man den Spaten richtig ansetzt, damit der Wurzelballen nicht zerfällt; sie wissen auch um das richtige Arbeitstempo und die notwendigen Pausen, um ohne Schmerzen durch den Tag und die Arbeitswoche zu kommen. An dieser Stelle: Danke für die Lehre!
„Man muss geschmeidig arbeiten, seine Bewegungen überwachen. Nur wenn man die Spitzhacke gut kennt, handhabt man sie richtig. Die Erdarbeiter bedienen sich ihrer mit sparsamem Kraftaufwand. Ihre Bewegungen sind überlegt und wohlbemessen. Es verlangt Geschicklichkeit, die Schaufel ohne übermäßige Anstrengung zu handhaben und täglich das gleiche Arbeitspensum zu schaffen. (…) Wenn die Erde gut ist, schön rutscht und auf der Schaufel singt, gibt es, bevor die Ermüdung einsetzt, wenigstens eine Stunde am Tag, in der sich der Körper glücklich fühlt.“ Das schreibt der Arbeiterschriftsteller George Navel über Erdarbeiter in seinem Erstlingswerk „Travaux“ (1945, zu Deutsch: „Werktage“).
Den Hinweis auf Navel und dieses Zitat verdanke ich Olivier Favereau, emeritierter französischer Arbeitsökonom. Er sieht darin ein Beispiel, dass selbst die niedrigsten Arbeiten zeitweise Glück und Zufriedenheit bescheren. Und er meint es nicht zynisch. Favereau ist einer von 21 Wissenschafter:innen, die in der Dokumentation „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019) von Gérard Mordillat und Bertrand Rothé über Arbeit, Beschäftigung, Lohn, Kapital und Profit reflektieren.
Die Art und Weise, wie die Interviews zusammengeschnitten wurden, fördert Erkenntnis durch Gegenüberstellung. So erklärt der eine den Ursprung von „travailler“ (arbeiten) mal mit Verweis auf ein Folterinstrument und im Gegensatz zum schöpferischen Englischen „work“, ein anderer sieht darin den Schöpfungsakt schlecht hin, bezeichnet „travailler“ doch ursprünglich auch „in den Wehen liegen“. Der Großteil der Reflexionen und Anekdoten sind äußerst anregend und durchwegs kritisch. Da wird ordentlich auf den Kopf gestellt und vor den Kopf gestoßen. Etwa dass es sich beim Arbeitsmarkt um einen Markt von Angebot und Nachfrage handle, streiten sonst Ökonomen eher selten ab.
Die Dokumentation eignet sich zum einen als Einführung in das Werk von Karl Marx, zum anderen bietet sie Einblicke in zeitgenössische ökonomische, soziologische und anthropologische Theorien zur Arbeit. Sie ist aber sicher auch für Fachleute lohnend, da man Bekanntschaft mit exzellente Forscher:innen macht, die bislang wenig bis gar nicht ins Deutsche oder Englische übersetzt wurden. Etwa die Soziologin Danièle Linhart, die seit den 1980ern zur Rolle der Arbeit in der Gesellschaft forscht oder Frédéric Lordon, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler an der Sorbonne, der auch als intellektueller Kopf der Protestbewegung „Nuit debout“ gilt. Daneben finden sich jedoch auch im deutschsprachigen Raum bekannte Namen wie etwa David Graeber.
Die sechs Teile zu je fast einer Stunde sind neben einer gelegentlichen Erzählstimme ausschließlich aus Interviews der Forscher:innen vor neutralem schwarzen Hintergrund montiert. Das fördert zwar die Konzentration auf das gesprochene Wort, ermüdet aber auch den Sehnerv. Als Hörbuch funktioniert die Dokumentation hingegen hervorragend. So gut, dass man einzelne Passagen zweimal hören will.
Eine deutsche und französische Version von „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019) sind auf Arte, YouTube und Archive.org zu sehen bzw. hören.
Referenzen:
Linhart, Danièle (2015). La comédie humaine du travail. De la déshumanisation taylorienne à la sur-humanisation managériale, Paris: Erès.
Lordon, Frédéric (2014). Willing slaves of capital: Spinoza and Marx on desire. Verso Trade, 2014.
Navel, George (1945), Travaux. Paris: Stock (1950 auf Deutsch erschienen als „Werktage. Roman eines französischen Arbeiters, Berlin: Aufbau)
'Travail, salaire, profit' (Arbeit. Lohn, Profit), 2019, France, Gérard Mordillat und Bertrand Rothé
Danièle Linhart, Soziologin, „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019), Filmstil
© Arte
Frédéric Lordon, Ökonom und Philosoph, „Arbeit, Lohn, Profit“ (2019), Filmstil
© Arte
Iranian Railway Worker
© Photo by Javad Esmaeili on Unsplash
Die Grenzen unserer Zukunftsvorstellung: Männer bei der Hausarbeit!
Es ist schwierig, die Zukunft als einem Gegenstand zu begreifen, der einer objektiven Analyse zugänglich ist. Die Zukunft ist unweigerlich ungreifbar. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Die Zukunft der Vergangenheit. «Vergangene Zukünfte» wie sie sich etwa in Werbefilmen der 1950er und 1960er Jahre manifestierten, enthüllen so manch Interessantes, etwa den Mangel an Vorstellung sozialen Wandels.
Zukunft der Arbeit: Science und Science-Fiction
Zukunftsforschung hat sich längst als Wissenschaftsdisziplin etabliert. Weshalb die Forschung sich nicht scheuen sollte, Anleihen bei Science-Fiction Filmen zu nehmen, wird bei der britischen Miniserie „Years and Years“ (2019) von Russell T. Davies deutlich.
THE WALKING MAN
Arbeit adelt. Arbeit macht das Leben süss. Sinnsprüche wie diese schreiben das Prinzip Arbeit apodiktisch als das Richtige und Gute ins Bewusstsein der Menschen ein. Wenn das amerikanische Fernsehen dieses Ideal aufgreift, dann um einen Helden der Arbeit zu kreieren: James Roberston – the walking man.
Arbeitsplatz Atomkraftwerk
Spiel- und Dokumentarfilme zu Reaktorkatastrophen hatten vergangenes Jahr Hochsaison. 10 Jahre Fukushima und 35 Jahre Tschernobyl waren willkommene Anlässe. Für einen Einblick in die Arbeitswelt Atomkraftwerk empfehle ich aber weiter, nämlich auf Volker Sattels „Unter Kontrolle“ (2011), zurückzugreifen.
Japans Seelöwinnen
Anti-stereotypische Berufe: Ama-San und Haenyo ─ Apnoe-Taucherinnen in Japan und Korea
Fischli und Weiss als DIY
Ein junger Youtuber hat vermutlich unwissentlich ein Remake des berühmten Kunstvideos „Der Lauf der Dinge“ (1987) von Fischli und Weiss gedreht und wirft damit interessante Fragen zum Verhältnis von Kunst, professionellem Handwerk und Do-it-yourself auf.