Adolf Hennecke — Held der Produktionsschlacht
Zentralfriedhof; in Stein gehauen
Tausende von Namen
die niemand mehr ausspricht.
Sie sollen uns mahnen, steht da.
Was schulden wir ihnen
und wie viel?
Mahngebühr
Friedhofsgebühr.
Plötzlich ein Bekannter.
Seine kohleverstaubte Lunge gebettet
zu ewiger Ruhe in schwarzer Erde
an einer wenig zentralen Wegesecke
unser Held Adolf Hennecke.
Wenn die DDR-Punk-Band „Spectators of Suicide“ in ihrem Song „Working Class Suicide oder Der Gute Adolf“ aus dem Jahr 1986 der realsozialistischen Arbeitsreligion den Tod von tausenden Menschen vorwirft, ist es bezeichnend, daß sie auch von Adolf Hennecke singen.
Der Bergmann Hennecke war für die DDR (Deutsche Demokratische Republik) das, wofür Alexei Grigorjewitsch Stanchanow in der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjet Republiken) stand: die zentrale Propagandafigur welche die Werktätigen aufforderte ihre Arbeitsleistung zu steigern. In der „Hennecke-Bewegung“ schlossen sich jene Aktivisten zusammen, die, ihrem Vorbild nacheifernd, trachteten ihre Arbeitsnorm überzuerfüllen und eine neues Arbeitsethos zu etablieren.
Adolf Hennecke begründete seinen Ruhm als er, im Oktober 1948 in einer sorgfältig vorbereiteten Schicht und mit der Zuarbeit der anderen Bergmänner, um 387 Prozent mehr Kohle aus dem Flöz brach, als es die Norm verlangte. Für diese Planübererfüllung wurde er gefeiert, belohnt, mit den höchsten Orden ausgezeichnet und schliesslich in das Zentralkomitee der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) berufen.
Die erste Aufforderung, zum Exponenten für die Kampagne zur Steigerung der Arbeitsnormen zu werden lehnte Hennecke zunächst noch ab. Er ahnte voraus, daß er von seinen Kameraden als Normbrecher angefeindet werden würde. Ihm wurden etwa das Auto angezündet und die Fensterscheiben eingeschlagen, aber er bekam auch körbeweise Fanpost. Diese extremen Reaktionen verweisen zum einen auf die Exposition Henneckes als „Held der Arbeit“ zum anderen repräsentieren sie die Scherkräfte, die in der Gesellschaft der DDR wirkten.
Die Historikerin Silke Satjukow, die über sozialistische Helden forscht, ist überzeugt davon, dass alle Gesellschaften Helden brauchen, um sich selbst zu versichern. Helden verkörpern das Außeralltägliche, sie gewinnen die entscheidende Schlacht. Was den Helden der Arbeit spezifisch ist, sie reichen auch in den Alltag hinein. Sie sagen: Es genügt ein „Mehr desselben“ und Du wirst auch besonders sein. Silke Satjukow: „Helden und Heilige sind ganz nah beieinander. Beide haben die Aufgabe, Normen und Moralvorstellungen zu transportieren.“
Die Leistung und die vorbildliche Moral Henneckes werden auch in „Der Weg nach oben“, dem offiziellen Dokumentarfilm zum 1. Jahrestag der DDR, abgefeiert. Eine*n spätere*n Musiker*in der „Spectators of Suicide“ begegnen wir hingegen als Schüler*in in „Elternhaus, Betrieb und Schule“ (kein Datum), einem DDR Schulungsfilm für angehende Pädagog*en.
Der Film zeigt uns die streng organisierte und kontrollierte Lebenswelt der Schülerin Gisela. Zuerst sehen wir sie und ihre Mitschüler*innen Metallteile feilen und Bleche bearbeiten. Das Fach „Produktive Arbeit“ ist Teil des modularen Projektunterrichts. PA bedeutete für die Schüler*innen, unter produktionsnahen Bedingungen Arbeitsaufträge in Industriebetrieben zu erledigen, teilweise wurden sie auch direkt in der Warenproduktion eingesetzt. Am Nachmittag hilft Gisela ihrer Mutter bei der Wäsche als eine Lehrerin oder Sozialarbeiterin die Familie besucht, um die Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihre Tochter erlauben, die Schulausbildung zu verlängern und sich stärker in der Schulgemeinschaft einzubringen. In den langen Dialogszenen ist Gisela stumm im Hintergrund zu sehen wie sie Wäschestücke im Zuber ausreibt.
Als Reaktion auf eine Gesellschaft, in der alles um Arbeit im gegenständlichen wie ideellen Sinn kreist, entwarfen sich die “Spectators of Suicide” als Anti-Helden und fragten, ob sie den “Normarbeitern” etwas schulden würden. Nun, sie forderten, diesen Warnhinweis auf jede Lohnsteuerkarte zu drucken: „Arbeit gefährdet Ihre Gesundheit und kann suizidale Tendenzen verstärken.“
The Walking Man https://work-o-witch.at/?p=1740&preview=true
Quellen:
Rainer Gries und Silke Satjukow (2002): Von Menschen und Übermenschen. Aus Politik und Zeitgeschichte, B17, S. 39–46
https://www.bpb.de/apuz/26965/von-menschen-und-uebermenschen
„Der Weg nach oben“ – offizieller Dokumentarfilm zur 1. Jahrestag der DDR 1950 - (Adolf Hennecke ab 17:47 min)
„Elternhaus, Betrieb und Schule“ Der Schulungsfilm für Pädagogik-StudentInnen in der DDR (ab 1:18 min mit Ton) zeigt den modularen Projektunterricht inklusive dem Unterrichtsfach „Produktive Arbeit“ (PA) und den Besuch einer Lehrerin oder Sozialarbeiterin bei den Eltern der Protagonistin.
Spectators of Suicide "Hanging Around"
Hennecke am Podium
© Roger Rössing / Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons
Adolf Hennecke — Held der Produktionsschlacht
Zentralfriedhof; in Stein gehauen
Tausende von Namen
die niemand mehr ausspricht.
Sie sollen uns mahnen, steht da.
Was schulden wir ihnen
und wie viel?
Mahngebühr
Friedhofsgebühr.
Plötzlich ein Bekannter.
Seine kohleverstaubte Lunge gebettet
zu ewiger Ruhe in schwarzer Erde
an einer wenig zentralen Wegesecke
unser Held Adolf Hennecke.
Wenn die DDR-Punk-Band „Spectators of Suicide“ in ihrem Song „Working Class Suicide oder Der Gute Adolf“ aus dem Jahr 1986 der realsozialistischen Arbeitsreligion den Tod von tausenden Menschen vorwirft, ist es bezeichnend, daß sie auch von Adolf Hennecke singen.
Der Bergmann Hennecke war für die DDR (Deutsche Demokratische Republik) das, wofür Alexei Grigorjewitsch Stanchanow in der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjet Republiken) stand: die zentrale Propagandafigur welche die Werktätigen aufforderte ihre Arbeitsleistung zu steigern. In der „Hennecke-Bewegung“ schlossen sich jene Aktivisten zusammen, die, ihrem Vorbild nacheifernd, trachteten ihre Arbeitsnorm überzuerfüllen und eine neues Arbeitsethos zu etablieren.
Adolf Hennecke begründete seinen Ruhm als er, im Oktober 1948 in einer sorgfältig vorbereiteten Schicht und mit der Zuarbeit der anderen Bergmänner, um 387 Prozent mehr Kohle aus dem Flöz brach, als es die Norm verlangte. Für diese Planübererfüllung wurde er gefeiert, belohnt, mit den höchsten Orden ausgezeichnet und schliesslich in das Zentralkomitee der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) berufen.
Die erste Aufforderung, zum Exponenten für die Kampagne zur Steigerung der Arbeitsnormen zu werden lehnte Hennecke zunächst noch ab. Er ahnte voraus, daß er von seinen Kameraden als Normbrecher angefeindet werden würde. Ihm wurden etwa das Auto angezündet und die Fensterscheiben eingeschlagen, aber er bekam auch körbeweise Fanpost. Diese extremen Reaktionen verweisen zum einen auf die Exposition Henneckes als „Held der Arbeit“ zum anderen repräsentieren sie die Scherkräfte, die in der Gesellschaft der DDR wirkten.
Die Historikerin Silke Satjukow, die über sozialistische Helden forscht, ist überzeugt davon, dass alle Gesellschaften Helden brauchen, um sich selbst zu versichern. Helden verkörpern das Außeralltägliche, sie gewinnen die entscheidende Schlacht. Was den Helden der Arbeit spezifisch ist, sie reichen auch in den Alltag hinein. Sie sagen: Es genügt ein „Mehr desselben“ und Du wirst auch besonders sein. Silke Satjukow: „Helden und Heilige sind ganz nah beieinander. Beide haben die Aufgabe, Normen und Moralvorstellungen zu transportieren.“
Die Leistung und die vorbildliche Moral Henneckes werden auch in „Der Weg nach oben“, dem offiziellen Dokumentarfilm zum 1. Jahrestag der DDR, abgefeiert. Eine*n spätere*n Musiker*in der „Spectators of Suicide“ begegnen wir hingegen als Schüler*in in „Elternhaus, Betrieb und Schule“ (kein Datum), einem DDR Schulungsfilm für angehende Pädagog*en.
Der Film zeigt uns die streng organisierte und kontrollierte Lebenswelt der Schülerin Gisela. Zuerst sehen wir sie und ihre Mitschüler*innen Metallteile feilen und Bleche bearbeiten. Das Fach „Produktive Arbeit“ ist Teil des modularen Projektunterrichts. PA bedeutete für die Schüler*innen, unter produktionsnahen Bedingungen Arbeitsaufträge in Industriebetrieben zu erledigen, teilweise wurden sie auch direkt in der Warenproduktion eingesetzt. Am Nachmittag hilft Gisela ihrer Mutter bei der Wäsche als eine Lehrerin oder Sozialarbeiterin die Familie besucht, um die Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihre Tochter erlauben, die Schulausbildung zu verlängern und sich stärker in der Schulgemeinschaft einzubringen. In den langen Dialogszenen ist Gisela stumm im Hintergrund zu sehen wie sie Wäschestücke im Zuber ausreibt.
Als Reaktion auf eine Gesellschaft, in der alles um Arbeit im gegenständlichen wie ideellen Sinn kreist, entwarfen sich die “Spectators of Suicide” als Anti-Helden und fragten, ob sie den “Normarbeitern” etwas schulden würden. Nun, sie forderten, diesen Warnhinweis auf jede Lohnsteuerkarte zu drucken: „Arbeit gefährdet Ihre Gesundheit und kann suizidale Tendenzen verstärken.“
The Walking Man https://work-o-witch.at/?p=1740&preview=true
Quellen:
Rainer Gries und Silke Satjukow (2002): Von Menschen und Übermenschen. Aus Politik und Zeitgeschichte, B17, S. 39–46
https://www.bpb.de/apuz/26965/von-menschen-und-uebermenschen
„Der Weg nach oben“ – offizieller Dokumentarfilm zur 1. Jahrestag der DDR 1950 - (Adolf Hennecke ab 17:47 min)
„Elternhaus, Betrieb und Schule“ Der Schulungsfilm für Pädagogik-StudentInnen in der DDR (ab 1:18 min mit Ton) zeigt den modularen Projektunterricht inklusive dem Unterrichtsfach „Produktive Arbeit“ (PA) und den Besuch einer Lehrerin oder Sozialarbeiterin bei den Eltern der Protagonistin.
Spectators of Suicide "Hanging Around"
Hennecke am Podium
© Roger Rössing / Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons
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