The App is the Boss
“Mit dem Fokus auf Sportlichkeit und individuelle Leistung und mit Teamgeist und Radkultur…”, so warb Foodora um Studenten als neue Fahrradboten. Wir Nutzer von plattformbasierten Essenszustelldiensten wissen kaum etwas von der Arbeitsrealität der Rider genannten ZustellerInnen. Eine Forschergruppe aus Soziologen und Juristen hat sich die Situation der Rider von Foodora (mittlerweile Mjam) und Deliveroo (mittlerweile eingestellt) in Berlin näher angesehen. Die Untersuchung fokussiert auf das Spannungsfeld Autonomie vs. Kontrolle bzw. Steuerung der Fahrradboten und fragt in ihrem Titel: “The App as a Boss?”. Betrachtet man die Ergebnisse der Studie, dann gibt es gute Gründe diese Frage zu bejahen.
Anders als man glauben könnte, haben die Rider durchaus einiges an Entscheidungsfreiheit. Sie können die Zustellroute frei wählen, es gibt keine Zeitvorgabe für die Erfüllung des Auftrags und wenn sie als freie Dienstnehmer arbeiten, haben sie das Recht Jobs abzulehnen. Aber über die Funktionalität der Apps haben die Plattformen verschiedene Instrumente, welche die Fahrradboten zu einem dem Unternehmen zunehmend nützlichen Verhalten konditionieren. Dafür werden Nudging-Tools mit Gamification-Elementen verbunden. Voraussetzung ist die totale Informationsasymmetrie. Die Apps sammeln Daten von und über die Boten und optimieren so die Steuerungsfeatures. Hingegen sind die Arbeiter auf den Fahrrädern voneinander weitgehend isoliert und die Funktionsweise der Apps ist für sie eine Black-Box. Rationale Entscheidungsfindung ist für sie nicht möglich. Denn, wenn überhaupt, sind sie nur marginal darüber informiert welche Input-Variablen zu welchem Ergebnis führen und wie die Variablen gewichtet sind. Bezeichnend ist etwa, dass sich die Deliveroo-Zusteller für einen Auftrag entscheiden müssen, ohne die Adresse des Kunden zu kennen.
Das stärkste Steuerungsfeature der Plattformen ist zweifellos die Beeinflussung des Verdienstes. Erstens über ein Bonussystem und zweitens durch das leistungsbasierte Prozedere der Schichtwahl für das nächste Monat. Das System, welches Wohlverhalten belohnt, ermittelt eine Rangfolge der Rider. Die “High-Performer” dürfen als erste wählen und tragen sich in die besten Slots ein, für die “Mäßig-Performer” bleibt der beinahe wertlose Rest. Leidenschaftliche Fahrradfahrer unter den Boten messen sich auf der Sport-App ‚Strava’ und treiben sich so Höchstleistungen. Die Plattformen generieren damit einen “Kollateralnutzen”.
Die Erkenntnisse von “The App as a Boss?” legen nahe, dass die Fahrrad-Arbeiter mehr gefühlt als tatsächlich autonom sind. Freiheit als das zentrale Versprechen der Gig-Economy ist ein zweischneidiges Schwert.
Referenz:
Foodora and Delivero: The App as a Boss?
Control and Autonomy in App-Based Management — The Case of Food Delivery Riders
Mirela Ivanova, Joanna Bronowicka, Eva Kocher and Anne Degner
What it's like to be a food delivery rider The Straits Times Singapore, John Lui
I Worked a Job At Deliveroo for a Week & Made £___ by Ben Morris
© Kai Pilger on Unsplash
The App is the Boss
“Mit dem Fokus auf Sportlichkeit und individuelle Leistung und mit Teamgeist und Radkultur…”, so warb Foodora um Studenten als neue Fahrradboten. Wir Nutzer von plattformbasierten Essenszustelldiensten wissen kaum etwas von der Arbeitsrealität der Rider genannten ZustellerInnen. Eine Forschergruppe aus Soziologen und Juristen hat sich die Situation der Rider von Foodora (mittlerweile Mjam) und Deliveroo (mittlerweile eingestellt) in Berlin näher angesehen. Die Untersuchung fokussiert auf das Spannungsfeld Autonomie vs. Kontrolle bzw. Steuerung der Fahrradboten und fragt in ihrem Titel: “The App as a Boss?”. Betrachtet man die Ergebnisse der Studie, dann gibt es gute Gründe diese Frage zu bejahen.
Anders als man glauben könnte, haben die Rider durchaus einiges an Entscheidungsfreiheit. Sie können die Zustellroute frei wählen, es gibt keine Zeitvorgabe für die Erfüllung des Auftrags und wenn sie als freie Dienstnehmer arbeiten, haben sie das Recht Jobs abzulehnen. Aber über die Funktionalität der Apps haben die Plattformen verschiedene Instrumente, welche die Fahrradboten zu einem dem Unternehmen zunehmend nützlichen Verhalten konditionieren. Dafür werden Nudging-Tools mit Gamification-Elementen verbunden. Voraussetzung ist die totale Informationsasymmetrie. Die Apps sammeln Daten von und über die Boten und optimieren so die Steuerungsfeatures. Hingegen sind die Arbeiter auf den Fahrrädern voneinander weitgehend isoliert und die Funktionsweise der Apps ist für sie eine Black-Box. Rationale Entscheidungsfindung ist für sie nicht möglich. Denn, wenn überhaupt, sind sie nur marginal darüber informiert welche Input-Variablen zu welchem Ergebnis führen und wie die Variablen gewichtet sind. Bezeichnend ist etwa, dass sich die Deliveroo-Zusteller für einen Auftrag entscheiden müssen, ohne die Adresse des Kunden zu kennen.
Das stärkste Steuerungsfeature der Plattformen ist zweifellos die Beeinflussung des Verdienstes. Erstens über ein Bonussystem und zweitens durch das leistungsbasierte Prozedere der Schichtwahl für das nächste Monat. Das System, welches Wohlverhalten belohnt, ermittelt eine Rangfolge der Rider. Die “High-Performer” dürfen als erste wählen und tragen sich in die besten Slots ein, für die “Mäßig-Performer” bleibt der beinahe wertlose Rest. Leidenschaftliche Fahrradfahrer unter den Boten messen sich auf der Sport-App ‚Strava’ und treiben sich so Höchstleistungen. Die Plattformen generieren damit einen “Kollateralnutzen”.
Die Erkenntnisse von “The App as a Boss?” legen nahe, dass die Fahrrad-Arbeiter mehr gefühlt als tatsächlich autonom sind. Freiheit als das zentrale Versprechen der Gig-Economy ist ein zweischneidiges Schwert.
Referenz:
Foodora and Delivero: The App as a Boss?
Control and Autonomy in App-Based Management — The Case of Food Delivery Riders
Mirela Ivanova, Joanna Bronowicka, Eva Kocher and Anne Degner
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Über diesen Blog
Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes veranschaulicht dieser Blog buchstäblich das weite Feld der Arbeit, Beschäftigung und Bildung in einer offenen Sammlung akademischer, künstlerischer und auch anekdotischer Erkenntnisse.
Über uns
Konrad Wakolbinger dreht Dokumentarfilme über Arbeit und Leben. Jörg Markowitsch forscht zu Bildung und Arbeit. Beide leben in Wien. Informationen zu Gastautoren und ‑autorinnen finden sich bei ihren jeweiligen Beiträgen
Über uns hinaus
Interesse an mehr? Wir haben hier Empfehlungen zu einschlägigen Festivals, Filmsammlungen und Literatur zusammengestellt.
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Konrad Wakolbinger dreht Dokumentarfilme über Arbeit und Leben. Jörg Markowitsch forscht zu Bildung und Arbeit. Wir arbeiten beide in Wien. Informationen zu Gastautoren und ‑autorinnen finden sich bei ihren jeweiligen Beiträgen
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