• en
  • de


  • Stapler-Konflikte


    Jörg Markowitsch

    In den Gängen (2018) von Thomas Stuber ist der ultimative Lagerarbeiter-Spielfilm. So viel Drehort ‚Arbeitsplatz’, ein Großmarkt, und so viel Einblick in die Einschulung in einen Hilfsberuf gab es im Kino noch nie. Obendrauf gibt es noch eine Romanze.

    Als ich mir 2019 eine kurze Auszeit nahm und ein Volon­ta­ri­at als Hilfs­ar­bei­ter in einer Groß­gärt­ne­rei begann, waren sie alle wieder da: die Gefühle, die man in einem neuen, fremden Job in den ersten Tagen und Wochen nur in dieser Form durchlebt.

    In dem deutschen Spielfilm „In den Gängen“ (2018) lässt sich diese spezielle Gefühl­welt von Berufs­an­fän­gern in Hilfs­be­ru­fen wunderbar nach­emp­fin­den. Christian, dem Prot­ago­nis­ten des Films, her­aus­ra­gend gespielt vom deutschen Joaquin Phoenix, Franz Rogowski, sind sie förmlich ins Gesicht geschrie­ben als er im Großmarkt seine neue Stelle beginnt: Neugierde, Ehrfurcht, Unge­wiss­heit, Aufregung, Angst, Begeis­te­rung, Begehren und Frus­tra­ti­on. Dafür wurde er auch zurecht mit dem Deutsche Filmpreis 2019 für den besten Haupt­dar­stel­ler geehrt.

    Es ist ein Ein­tau­chen in einen neuen Mikro­kos­mos mit eigener Sprach­welt. „Hol mir mal das CC!“ hieß es da in meinem Fall etwa gleich am ersten Tag, an dem mir mehrmals ein Fra­ge­zei­chen auf der Stirn stand. CC stand für „Container Centralen“, ein Rollwagen mit ver­stell­ba­ren Fachböden der haupt­säch­lich im Pflan­zen­han­del genutzt wird. Zur Info: Groß­gärt­ne­rei heißt zu 80% Lagerarbeit.

    Ins Schwitzen bringt Christian nicht das CC, sondern das noch fehlende Fein­ge­fühl bei der Hand­ha­bung der „Ameise“ (ein Elektro-Hubwagen, benannt nach dem Her­stel­ler).  Doch der ist für ihn noch Tabu. ‚Stapler-Konflikte‘, der Kampf, wer die Stapler fahren darf, gehören zum Alltag in den Gängen des Großmarkts.

    Der Film spielt tat­säch­lich fast aus­schließ­lich im Großmarkt (im Lager, Büro, Auf­ent­halts­raum, der Ver­la­de­ram­pe, am Parkplatz) und nimmt sich viel Zeit für die rea­li­täts­na­he Dar­stel­lung der Ein­schu­lung von Christian; vor allem durch seinen älteren Kollegen Bruno, gespielt von Peter Kurth (bekannt als Ober­kom­mis­sar in „Babylon Berlin“).

    Lediglich die Theo­rie­aus­bil­dung zum ‚Flur­för­der­mit­tel­schein‘ (= Stap­ler­schein) ist über­zeich­net, belohnt dafür aber mit einem Lacher. Völlig ein­ge­schüch­ter­te junge Männer finden sich in einer Klas­sen­si­tua­ti­on dem päd­ago­gisch frag­wür­di­gen Witz des Trainers aus­ge­setzt und müssen einen Lehrfilm mit Splatter-Elementen in Form einer Doppel-Ampu­ta­ti­on über sich ergehen lassen. Lektion: Miss­ach­tung von Vor­schrif­ten endet in einem Blut­schwall, und zwar nicht zu gering.

    Das Verbot am Stapler mit­zu­fah­ren ist so eine Vor­schrift, erfahren wir vom Trainer. Nur um dann in der nächsten Szene zu erleben, wie Christian Marion (Sandra Hüller, die deutsche Cate Blanchett) am Stapler kut­schiert. Will­kom­men zurück in der Arbeits­wirk­lich­keit. Arbeiter haben eben stets auch ihre eigene Inter­pre­ta­ti­on von Regeln und machen ihre eigenen Gesetze.  Die gemein­sa­me Stap­ler­fahrt von Christian und Marion ist dann auch so etwas wie der Höhepunkt der zarten Romanze zwischen den beiden, natürlich das eigent­li­che Thema des Films.

    Lie­bes­ge­schich­ten, die fast aus­schließ­lich am Arbeits­platz spielen, sind wohl eher die Ausnahme im Kino, unge­ach­tet ihrer Bedeutung im echten Arbeits­le­ben. Dass das durchaus auch seinen Reiz haben kann und gleich­zei­tig als Milieu­stu­die taugt, zeigt Stubers Film eindrucksvoll.

    "In den Gängen", Trailer, German 

    "In den Gängen", Trailer, German with English Subtitles 

    Still, In den Gängen

    Still In den Gängen

    Still In den Gängen

    Tags

    Stapler-Konflikte

    Jörg Markowitsch

    In den Gängen (2018) von Thomas Stuber ist der ultimative Lagerarbeiter-Spielfilm. So viel Drehort ‚Arbeitsplatz’, ein Großmarkt, und so viel Einblick in die Einschulung in einen Hilfsberuf gab es im Kino noch nie. Obendrauf gibt es noch eine Romanze.

    Als ich mir 2019 eine kurze Auszeit nahm und ein Volon­ta­ri­at als Hilfs­ar­bei­ter in einer Groß­gärt­ne­rei begann, waren sie alle wieder da: die Gefühle, die man in einem neuen, fremden Job in den ersten Tagen und Wochen nur in dieser Form durchlebt.

    In dem deutschen Spielfilm „In den Gängen“ (2018) lässt sich diese spezielle Gefühl­welt von Berufs­an­fän­gern in Hilfs­be­ru­fen wunderbar nach­emp­fin­den. Christian, dem Prot­ago­nis­ten des Films, her­aus­ra­gend gespielt vom deutschen Joaquin Phoenix, Franz Rogowski, sind sie förmlich ins Gesicht geschrie­ben als er im Großmarkt seine neue Stelle beginnt: Neugierde, Ehrfurcht, Unge­wiss­heit, Aufregung, Angst, Begeis­te­rung, Begehren und Frus­tra­ti­on. Dafür wurde er auch zurecht mit dem Deutsche Filmpreis 2019 für den besten Haupt­dar­stel­ler geehrt.

    Es ist ein Ein­tau­chen in einen neuen Mikro­kos­mos mit eigener Sprach­welt. „Hol mir mal das CC!“ hieß es da in meinem Fall etwa gleich am ersten Tag, an dem mir mehrmals ein Fra­ge­zei­chen auf der Stirn stand. CC stand für „Container Centralen“, ein Rollwagen mit ver­stell­ba­ren Fachböden der haupt­säch­lich im Pflan­zen­han­del genutzt wird. Zur Info: Groß­gärt­ne­rei heißt zu 80% Lagerarbeit.

    Ins Schwitzen bringt Christian nicht das CC, sondern das noch fehlende Fein­ge­fühl bei der Hand­ha­bung der „Ameise“ (ein Elektro-Hubwagen, benannt nach dem Her­stel­ler).  Doch der ist für ihn noch Tabu. ‚Stapler-Konflikte‘, der Kampf, wer die Stapler fahren darf, gehören zum Alltag in den Gängen des Großmarkts.

    Der Film spielt tat­säch­lich fast aus­schließ­lich im Großmarkt (im Lager, Büro, Auf­ent­halts­raum, der Ver­la­de­ram­pe, am Parkplatz) und nimmt sich viel Zeit für die rea­li­täts­na­he Dar­stel­lung der Ein­schu­lung von Christian; vor allem durch seinen älteren Kollegen Bruno, gespielt von Peter Kurth (bekannt als Ober­kom­mis­sar in „Babylon Berlin“).

    Lediglich die Theo­rie­aus­bil­dung zum ‚Flur­för­der­mit­tel­schein‘ (= Stap­ler­schein) ist über­zeich­net, belohnt dafür aber mit einem Lacher. Völlig ein­ge­schüch­ter­te junge Männer finden sich in einer Klas­sen­si­tua­ti­on dem päd­ago­gisch frag­wür­di­gen Witz des Trainers aus­ge­setzt und müssen einen Lehrfilm mit Splatter-Elementen in Form einer Doppel-Ampu­ta­ti­on über sich ergehen lassen. Lektion: Miss­ach­tung von Vor­schrif­ten endet in einem Blut­schwall, und zwar nicht zu gering.

    Das Verbot am Stapler mit­zu­fah­ren ist so eine Vor­schrift, erfahren wir vom Trainer. Nur um dann in der nächsten Szene zu erleben, wie Christian Marion (Sandra Hüller, die deutsche Cate Blanchett) am Stapler kut­schiert. Will­kom­men zurück in der Arbeits­wirk­lich­keit. Arbeiter haben eben stets auch ihre eigene Inter­pre­ta­ti­on von Regeln und machen ihre eigenen Gesetze.  Die gemein­sa­me Stap­ler­fahrt von Christian und Marion ist dann auch so etwas wie der Höhepunkt der zarten Romanze zwischen den beiden, natürlich das eigent­li­che Thema des Films.

    Lie­bes­ge­schich­ten, die fast aus­schließ­lich am Arbeits­platz spielen, sind wohl eher die Ausnahme im Kino, unge­ach­tet ihrer Bedeutung im echten Arbeits­le­ben. Dass das durchaus auch seinen Reiz haben kann und gleich­zei­tig als Milieu­stu­die taugt, zeigt Stubers Film eindrucksvoll.

    "In den Gängen", Trailer, German

    "In den Gängen", Trailer, German with English Subtitles

    Still, In den Gängen

    Still In den Gängen

    Still In den Gängen

    Tags


    Garderobiers der Weltbühnen

    Gar­de­ro­biers der Weltbühnen

    Im zweiten Teil seiner Trilogie über Menschen in ungewöhnlichen Berufen, „Secondo Me” (2016), begleitet Pavel Cuzuioc drei Garderobiers an drei europäischen Opernhäusern und holt das Alltägliche vor den Vorhang.

    Gundermann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma

    Gun­der­mann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma

    Das Biopic ‚Gundermann‘ (2018) erzählt ganz nebenbei auch vom Niedergang des Tagebau in der Lausitz und dem bereits verschwundenen Arbeitsparadigma der DDR.

    Wittgenstein stop motion

    Witt­gen­stein stop motion

    Ana Vasofs filmische Anekdoten beflügeln die Praxeologie und hinterfragen pointiert unsere Denk- und Verhaltensweisen.

    Sorry, Sie haben das Leben verpasst!

    Sorry, Sie haben das Leben verpasst!

    Gegen offene Ausbeutung können wir uns wehren. Subtile Formen hingegen sind nicht so leicht erkennbar und schwerer zu bekämpfen.

    1 41 42 43 44 45 47


    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit. Wir arbeiten beide in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.