Das Ich im Haar: Über das Können von Friseur*innen
Wir alle haben tagtägliche, lebenslange, oft tiefgreifende Erfahrungen mit unserem Haar, unseren Frisuren und Friseur*innen. Eigentlich kennen wir uns aus – und erwarten das allemal von unseren Haar-Fachkräften und ihren uns so bekannten, gewohnten Prozeduren. Allerdings liegt der Schlüssel zum guten Friseur, wie ein eben erschienenes Buch von uns bezeugt, nur anscheinend in dem leicht Sichtbaren und Erkennbaren des Friseurhandelns. Nicht das ‚Was‘, sondern vor allem das ‚Wie‘ ist entscheidend.
Das rückt eher Verborgenes oder Verdecktes in den Vordergrund: vor allem so etwas wie die Wahrnehmung mit allen Sinnen, das Empfinden und den Spürsinn sowohl für den Kunden wie die besonderen Eigenschaften des Haars, wobei Letzterem ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen muss. Darauf verweist nicht nur seine herausragende kulturhistorische Rolle, wie sie etwa auf vergnügliche Weise in dem 10-minütigen Lehrfilm „Hair Dress Through the Ages“ aus dem Jahr 1950 dargestellt ist.
Unsere Betrachtung der ‚Kulturalität‘ des Haars reicht allerdings über die Oberfläche der Frisurbetrachtung hinaus und bezieht die Mythen, Symboliken, sowie die religiösen, politischen und sozialen Bedeutsamkeiten des Haars mit ein. Zum Vorschein kommt hierbei auch: Das Haar lässt sich, wie immer man es auch ‚domestizieren‘ und ‚pharmazieren‘ mag, nur bedingt nach Belieben formen. Allen Versuchen, Ordnungen und Ordnung zu schaffen, widersetzt es sich durch seinen Eigensinn.
Allzu leicht erscheint das Haar als ein Gegenstand, der, gleich der äußeren Kleidung, zu einem gehört, ebenso wie diese aber auch ablösbar scheint. Doch das Haar, wie auch immer behandelt, abgeschnitten oder künstlich verlängert, gefärbt oder verdreht, ist und bleibt ein unmittelbarer Teil des menschlichen Körpers und seiner personalen Verfassung.
Das Haar ist, unbearbeitet wie bearbeitet, kein ‚lebloses‘ Objekt, sondern ein lebendiges, wirkliches ‚Gegenüber‘ – und daher als solches zu verstehen und zu behandeln. Fachwissen und technische Fertigkeiten sind hierbei fraglos von großer Bedeutung. Doch entscheidend für einen ‚guten‘ Friseur scheint etwas, wodurch sich die besondere ‚Kunst‘ des Handwerks auszeichnet: ein Gespür und Empfinden für den Gegenstand, an und mit dem als einem wirklichen ‚Gegenüber‘ gearbeitet wird.
Davon scheint allerdings selbst in den jüngeren Erörterungen zum Berufsbild des Friseurs und seiner Ausbildung nur wenig auf, wie etwa ein Schmökern durch aktuelle Berufsinformationsfilme zeigt (vergleiche etwa „Friseur/in Ausbildung“ des Bayrischen Rundfunks (BR) oder „Friseur/in“ auf BERUFE.TV, das Filmportal rund um Berufe der Bundesagentur für Arbeit). Diese fokussieren eher Aspekte des chemisch-pharmazeutischen Wissens und instrumentellen Könnens. „Kreativität“ ist dort ein zwar gern genutzter, jedoch weithin unspezifischer Begriff zur Beschreibung des Friseurhandelns. Das Haar bleibt dabei ein Objekt. Uns scheint jedoch: Ein guter Friseur findet, belässt und pflegt das Ich im Haar.
Hans G. Bauer ist Soziologe und für die GAB München, ein Forschungs- und Beratungsinstitut im Bereich der beruflichen Bildung, tätig
Fritz Böhle ist Soziologe und leitet die Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt an der Universität Augsburg.
Referenzen:
Bauer, Hans G. und Fritz Böhle (2020), Haarige Kunst. Über den Eigensinn des Haars und das Können von Friseuren, Springer.
Bundesagentur für Arbeit (2021), Friseur/in — Berufe.TV
Hair Dress Through The Ages, Bildungsfilm, 1950
Friseur/in, 2019, aus der Serie "Ausbildung" des Bayrischen Rundfunks
Figaro 7, Aus: "Harrige Kunst" von Hans G. Bauer und Fritz Böhle
© Nadia Gentile
Figaro 6, Aus: "Harrige Kunst" von Hans G. Bauer und Fritz Böhle
© Nadia Gentile
Das Ich im Haar: Über das Können von Friseur*innen
Wir alle haben tagtägliche, lebenslange, oft tiefgreifende Erfahrungen mit unserem Haar, unseren Frisuren und Friseur*innen. Eigentlich kennen wir uns aus – und erwarten das allemal von unseren Haar-Fachkräften und ihren uns so bekannten, gewohnten Prozeduren. Allerdings liegt der Schlüssel zum guten Friseur, wie ein eben erschienenes Buch von uns bezeugt, nur anscheinend in dem leicht Sichtbaren und Erkennbaren des Friseurhandelns. Nicht das ‚Was‘, sondern vor allem das ‚Wie‘ ist entscheidend.
Das rückt eher Verborgenes oder Verdecktes in den Vordergrund: vor allem so etwas wie die Wahrnehmung mit allen Sinnen, das Empfinden und den Spürsinn sowohl für den Kunden wie die besonderen Eigenschaften des Haars, wobei Letzterem ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen muss. Darauf verweist nicht nur seine herausragende kulturhistorische Rolle, wie sie etwa auf vergnügliche Weise in dem 10-minütigen Lehrfilm „Hair Dress Through the Ages“ aus dem Jahr 1950 dargestellt ist.
Unsere Betrachtung der ‚Kulturalität‘ des Haars reicht allerdings über die Oberfläche der Frisurbetrachtung hinaus und bezieht die Mythen, Symboliken, sowie die religiösen, politischen und sozialen Bedeutsamkeiten des Haars mit ein. Zum Vorschein kommt hierbei auch: Das Haar lässt sich, wie immer man es auch ‚domestizieren‘ und ‚pharmazieren‘ mag, nur bedingt nach Belieben formen. Allen Versuchen, Ordnungen und Ordnung zu schaffen, widersetzt es sich durch seinen Eigensinn.
Allzu leicht erscheint das Haar als ein Gegenstand, der, gleich der äußeren Kleidung, zu einem gehört, ebenso wie diese aber auch ablösbar scheint. Doch das Haar, wie auch immer behandelt, abgeschnitten oder künstlich verlängert, gefärbt oder verdreht, ist und bleibt ein unmittelbarer Teil des menschlichen Körpers und seiner personalen Verfassung.
Das Haar ist, unbearbeitet wie bearbeitet, kein ‚lebloses‘ Objekt, sondern ein lebendiges, wirkliches ‚Gegenüber‘ – und daher als solches zu verstehen und zu behandeln. Fachwissen und technische Fertigkeiten sind hierbei fraglos von großer Bedeutung. Doch entscheidend für einen ‚guten‘ Friseur scheint etwas, wodurch sich die besondere ‚Kunst‘ des Handwerks auszeichnet: ein Gespür und Empfinden für den Gegenstand, an und mit dem als einem wirklichen ‚Gegenüber‘ gearbeitet wird.
Davon scheint allerdings selbst in den jüngeren Erörterungen zum Berufsbild des Friseurs und seiner Ausbildung nur wenig auf, wie etwa ein Schmökern durch aktuelle Berufsinformationsfilme zeigt (vergleiche etwa „Friseur/in Ausbildung“ des Bayrischen Rundfunks (BR) oder „Friseur/in“ auf BERUFE.TV, das Filmportal rund um Berufe der Bundesagentur für Arbeit). Diese fokussieren eher Aspekte des chemisch-pharmazeutischen Wissens und instrumentellen Könnens. „Kreativität“ ist dort ein zwar gern genutzter, jedoch weithin unspezifischer Begriff zur Beschreibung des Friseurhandelns. Das Haar bleibt dabei ein Objekt. Uns scheint jedoch: Ein guter Friseur findet, belässt und pflegt das Ich im Haar.
Hans G. Bauer ist Soziologe und für die GAB München, ein Forschungs- und Beratungsinstitut im Bereich der beruflichen Bildung, tätig
Fritz Böhle ist Soziologe und leitet die Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt an der Universität Augsburg.
Referenzen:
Bauer, Hans G. und Fritz Böhle (2020), Haarige Kunst. Über den Eigensinn des Haars und das Können von Friseuren, Springer.
Bundesagentur für Arbeit (2021), Friseur/in — Berufe.TV
Hair Dress Through The Ages, Bildungsfilm, 1950
Friseur/in, 2019, aus der Serie "Ausbildung" des Bayrischen Rundfunks
Figaro 7, Aus: "Harrige Kunst" von Hans G. Bauer und Fritz Böhle
© Nadia Gentile
Figaro 6, Aus: "Harrige Kunst" von Hans G. Bauer und Fritz Böhle
© Nadia Gentile
Efficiency kills
Der 2017 verstorbene US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler William J. Baumol fand heraus, warum das Effizienzprinzip den Dienstleistungssektor kaputt macht – und letztlich Covid-Todesopfer mitverantwortet.
Plädoyer für autochthone Bildungssysteme
"In my blood it runs" (2019) ist ein intimes Porträt eines Aborigine-Jungen und seiner Familie sowie Zeugnis der eklatanten Mängel des australischen Bildungssystems im Umgang mit der indigenen Bevölkerung Australiens.
Zwangsarbeit bis über den Tod hinaus
Eine kapitalismuskritische Lesart des Zombiefilms anlässlich des Erscheinens von Zombi Child (2019) von Bertrand Bonello.
Vergleichende Arbeitsforschung mit der Kamera: Darcy Lange
Der Künstler Darcy Lange lieferte mit der Kamera bedeutendes wissenschaftliches Material zu Arbeit und Bildung, das es in der Sozial- und Bildungsforschung noch aufzuarbeiten gilt.
Gesellschaft ohne Anschluss
Der neue Film „Bitte Warten“ (2020) von Pavel Cuzuioc begleitet die Arbeit von Servicetechnikern in der Telekommunikationsbranche im äußersten Osten Europas und porträtiert dabei doch mehr deren Kunden. Leute, die den Anschluss zu verlieren drohen.
Über diesen Blog
Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes veranschaulicht dieser Blog buchstäblich das weite Feld der Arbeit, Beschäftigung und Bildung in einer offenen Sammlung akademischer, künstlerischer und auch anekdotischer Erkenntnisse.
Über uns
Konrad Wakolbinger dreht Dokumentarfilme über Arbeit und Leben. Jörg Markowitsch forscht zu Bildung und Arbeit. Beide leben in Wien. Informationen zu Gastautoren und ‑autorinnen finden sich bei ihren jeweiligen Beiträgen
Über uns hinaus
Interesse an mehr? Wir haben hier Empfehlungen zu einschlägigen Festivals, Filmsammlungen und Literatur zusammengestellt.
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