Arbeitsinspektor Corona
Das Virus spricht zu uns. Und zwar Klartext. Allein wir hören nicht zu. Es wird jedenfalls immer offensichtlicher, dass uns das Virus etwas sagen möchte.
17 Millionen Nerze in Dänemark ermordet. Drei pro Einwohner. Angeblich wegen Corona. Als ob die armen Tiere sonst nicht durch Menschenhand gestorben wären.
Schon der Ursprung der Pandemie in Wuhan schien uns sagen zu wollen: Verbietet Wildtiermärkte – endgültig.
Die These, dass die Ausbreitung des Coronavirus in Italien mit ‚Pronto Moda’ zu tun hatte, ist ebenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen. Jedenfalls sorgte das Virus dafür, dass die Produktion von vermeintlich italienischen Produkten, die in Italien von Chinesen und unter chinesischen Bedingungen hergestellt werden, erneut mediale Aufmerksamkeit bekam (vergleiche auch den Blog „Made in Chinitaly“).
Diese Spur zieht sich weiter. Corona-Cluster poppten häufig dort auf, wo die Arbeitsbedingung prekär sind und die Öffentlichkeit kaum hinschaut. 1500 positive Covid-19 Fälle beim Billigfleisch-Produzenten Tönnies in Deutschland, Leiharbeiter bei der Post in Österreich, Erntehelfer in ganz Westeuropa.
Das Corona Virus klagt vor allem lange Arbeitsschichten gepaart mit schlechter Unterbringung von Arbeiterinnen und Arbeiter am Betriebsstandort an – sprich moderne Sklaverei. Dies zeigen zumindest Auswertungen der ‘London School of Hygiene and Tropical Medicine’ basierend auf Daten der ersten Welle (Thompson 2020, Leclerc 2020). Lässt man die Ausbreitungsgefahr auf Schiffen außer Acht, so gehen die wesentlichsten Cluster nach dieser Studie vor allem auf große Gemeinschaftsunterkünfte und gekühlte Produktionslinien in der Lebensmittelindustrie zurück. Gerade in der industriellen Landwirtschaft ist der Spagat zwischen Wirtschaft und Gesundheit in der Corona-Krise besonders schwierig geworden. Unverzichtbare Arbeit (oder wie es so schön heißt: systemerhaltende Berufe) auf der einen Seite, erhöhtes Ansteckungsrisiko auf der anderen Seite. Was auf der Makroebene nach einem sozial- und gesundheitspolitischen, vielleicht auch ethischen Problem klingt, ist für die betroffenen Arbeiter eine existenzielle Zerreißprobe vor der sie jeden Morgen stehen.
Setze ich mich dem gesundheitlichen Risiko aus, oder verzichte ich auf Einkommen und gefährde so die Grundversorgung meiner Familie? So schildert eine Brokkoli-Pflückerin in Kalifornien in der Frontline-Dokumentation „Covid’s hidden toll“ die tägliche Zwickmühle. In der Dokumentation vom Juli dieses Jahres folgt die Journalistin Daffodil Altan illegalen Erntehelfern aus Mexiko und Mitarbeitern in der Fleischverarbeitungs¬industrie, die besonders von Corona getroffen wurden. „It doesn’t feel like we are essential workers, it feels like we are slaves!“ bringt ein anderer Erntearbeiter die Situation auf den Punkt.
Was Arbeitsinspektor Corona aufdeckt, führt garantiert zu großer Empörung: Immer noch Nerzproduktionen in Europa?! Rumänische Arbeitssklaven bei Tönnies!? Wozu braucht die Post Leiharbeiter?! Alleine diese, sowie das Mitgefühl mit den Systemerhalterinnen ist meist von kurzer Dauer. Und der politische Wille deren Situation zu verbessern genauso.
Ob die These vom anklagenden Virus vielleicht auch zur Liste der Verschwörungstheorien zählt, mögen andere beurteilen.
Tags: Erntearbeiter, Leiharbeiter, Kalifornien, Dänemark, Deutschland, Österreich Corona, Covid-19, Nerze, Fleischindustrie, Post, Daffodil Altan, PBS, Frontline
Referenzen:
Der Standard (2020), Nach Corona-Fällen nimmt Wien Leiharbeitsfirmen ins Visier, 17. Mai 2020
Leclerc, Q. et al. (2020) What settings have been linked to SARS-CoV‑2 transmission clusters? Wellcome Open Research
Kempkens, Sebastian et al. (2020), In der Virenschleuder, 24. Juni 2020
McKie, Robin (2020), Veterinary workers cull 17 million Danish mink to halt new Covid, The Guardian, 8. Nov. 2020
Thompson, Helen (2020), COVID-19 case clusters offer lessons and warnings for reopening, Science News August 2020
COVID's Hidden Toll, FRONTLINE, 2020
Jo-Anne McArthuron, Unsplash
© Jo-Anne McArthuron
Arbeitsinspektor Corona
Das Virus spricht zu uns. Und zwar Klartext. Allein wir hören nicht zu. Es wird jedenfalls immer offensichtlicher, dass uns das Virus etwas sagen möchte.
17 Millionen Nerze in Dänemark ermordet. Drei pro Einwohner. Angeblich wegen Corona. Als ob die armen Tiere sonst nicht durch Menschenhand gestorben wären.
Schon der Ursprung der Pandemie in Wuhan schien uns sagen zu wollen: Verbietet Wildtiermärkte – endgültig.
Die These, dass die Ausbreitung des Coronavirus in Italien mit ‚Pronto Moda’ zu tun hatte, ist ebenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen. Jedenfalls sorgte das Virus dafür, dass die Produktion von vermeintlich italienischen Produkten, die in Italien von Chinesen und unter chinesischen Bedingungen hergestellt werden, erneut mediale Aufmerksamkeit bekam (vergleiche auch den Blog „Made in Chinitaly“).
Diese Spur zieht sich weiter. Corona-Cluster poppten häufig dort auf, wo die Arbeitsbedingung prekär sind und die Öffentlichkeit kaum hinschaut. 1500 positive Covid-19 Fälle beim Billigfleisch-Produzenten Tönnies in Deutschland, Leiharbeiter bei der Post in Österreich, Erntehelfer in ganz Westeuropa.
Das Corona Virus klagt vor allem lange Arbeitsschichten gepaart mit schlechter Unterbringung von Arbeiterinnen und Arbeiter am Betriebsstandort an – sprich moderne Sklaverei. Dies zeigen zumindest Auswertungen der ‘London School of Hygiene and Tropical Medicine’ basierend auf Daten der ersten Welle (Thompson 2020, Leclerc 2020). Lässt man die Ausbreitungsgefahr auf Schiffen außer Acht, so gehen die wesentlichsten Cluster nach dieser Studie vor allem auf große Gemeinschaftsunterkünfte und gekühlte Produktionslinien in der Lebensmittelindustrie zurück. Gerade in der industriellen Landwirtschaft ist der Spagat zwischen Wirtschaft und Gesundheit in der Corona-Krise besonders schwierig geworden. Unverzichtbare Arbeit (oder wie es so schön heißt: systemerhaltende Berufe) auf der einen Seite, erhöhtes Ansteckungsrisiko auf der anderen Seite. Was auf der Makroebene nach einem sozial- und gesundheitspolitischen, vielleicht auch ethischen Problem klingt, ist für die betroffenen Arbeiter eine existenzielle Zerreißprobe vor der sie jeden Morgen stehen.
Setze ich mich dem gesundheitlichen Risiko aus, oder verzichte ich auf Einkommen und gefährde so die Grundversorgung meiner Familie? So schildert eine Brokkoli-Pflückerin in Kalifornien in der Frontline-Dokumentation „Covid’s hidden toll“ die tägliche Zwickmühle. In der Dokumentation vom Juli dieses Jahres folgt die Journalistin Daffodil Altan illegalen Erntehelfern aus Mexiko und Mitarbeitern in der Fleischverarbeitungs¬industrie, die besonders von Corona getroffen wurden. „It doesn’t feel like we are essential workers, it feels like we are slaves!“ bringt ein anderer Erntearbeiter die Situation auf den Punkt.
Was Arbeitsinspektor Corona aufdeckt, führt garantiert zu großer Empörung: Immer noch Nerzproduktionen in Europa?! Rumänische Arbeitssklaven bei Tönnies!? Wozu braucht die Post Leiharbeiter?! Alleine diese, sowie das Mitgefühl mit den Systemerhalterinnen ist meist von kurzer Dauer. Und der politische Wille deren Situation zu verbessern genauso.
Ob die These vom anklagenden Virus vielleicht auch zur Liste der Verschwörungstheorien zählt, mögen andere beurteilen.
Tags: Erntearbeiter, Leiharbeiter, Kalifornien, Dänemark, Deutschland, Österreich Corona, Covid-19, Nerze, Fleischindustrie, Post, Daffodil Altan, PBS, Frontline
Referenzen:
Der Standard (2020), Nach Corona-Fällen nimmt Wien Leiharbeitsfirmen ins Visier, 17. Mai 2020
Leclerc, Q. et al. (2020) What settings have been linked to SARS-CoV‑2 transmission clusters? Wellcome Open Research
Kempkens, Sebastian et al. (2020), In der Virenschleuder, 24. Juni 2020
McKie, Robin (2020), Veterinary workers cull 17 million Danish mink to halt new Covid, The Guardian, 8. Nov. 2020
Thompson, Helen (2020), COVID-19 case clusters offer lessons and warnings for reopening, Science News August 2020
COVID's Hidden Toll, FRONTLINE, 2020
Jo-Anne McArthuron, Unsplash
© Jo-Anne McArthuron
Stapler-Konflikte
In den Gängen (2018) von Thomas Stuber ist der ultimative Lagerarbeiter-Spielfilm. So viel Drehort ‚Arbeitsplatz’, ein Großmarkt, und so viel Einblick in die Einschulung in einen Hilfsberuf gab es im Kino noch nie. Obendrauf gibt es noch eine Romanze.
Garderobiers der Weltbühnen
Im zweiten Teil seiner Trilogie über Menschen in ungewöhnlichen Berufen, „Secondo Me” (2016), begleitet Pavel Cuzuioc drei Garderobiers an drei europäischen Opernhäusern und holt das Alltägliche vor den Vorhang.
Gundermann: Abgesang auf ein Arbeitsparadigma
Das Biopic ‚Gundermann‘ (2018) erzählt ganz nebenbei auch vom Niedergang des Tagebau in der Lausitz und dem bereits verschwundenen Arbeitsparadigma der DDR.
Wittgenstein stop motion
Ana Vasofs filmische Anekdoten beflügeln die Praxeologie und hinterfragen pointiert unsere Denk- und Verhaltensweisen.
Sorry, Sie haben das Leben verpasst!
Gegen offene Ausbeutung können wir uns wehren. Subtile Formen hingegen sind nicht so leicht erkennbar und schwerer zu bekämpfen.