Efficiency kills
Mitten in der Covid-Pandemie gelten unser kollektives Hoffen und Bangen der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Dass schwer erkrankten Angehörigen die medizinisch indizierte Behandlung aus Kapazitätsgründen verweigert wird, ist für jeden von uns eine Horrorvorstellung.
In der 2014 von der ARD ausgestrahlten Reportage „Die Krankenfabrik“ erleben wir ein ungenanntes Krankenhaus in Deutschland am Limit der Leistungsfähigkeit.
Das lässt den Schluss zu, dass die aktuelle Covid-19-Pandemie auf ein bereits geschwächtes Gesundheitssystem trifft. Der Grund dafür ist evident: die seit Jahrzehnten zunehmende Ökonomisierung der Daseinsvorsorge. Gemäßbetriebswirtschaftlicher Dogmatik wird den stark steigenden Kosten in diesem Bereich mit Einsparungsprogrammen begegnet, die als Maßnahmen zur Effizienzsteigerung “verkauft” werden. William Baumol zeigt mit seiner, Baumol’schen Kostenkrankheit getauften, Theorie, aber, dass den Apologeten von Optimierung und Effizienz der entscheidende Unterschied zwischen Warenproduktion und Dienstleistung entgangen ist.
Die Effizienzsteigerung in der Warenproduktion wird durch technische Innovation erreicht. Mehr Güter können dadurch in der gleichen (oder kürzerer) Zeit hergestellt werden. Oftmals werden auch weniger Menschen dafür benötigt, was die Kosten weiter dämpft. Dieser Mechanismus ist bei der Bereitstellung von Dienstleistungen nur eingeschränkt wirksam, weil nicht Maschinen, sondern Menschen den Hauptteil der Leistung erbringen. Obwohl eine Friseurin, eine Krankenpflegerin oder ein Mechaniker nach einem anderen Prinzip arbeitet, wird ihnen dennoch die Logik der Warenproduktion übergestülpt. Die Folge sind Arbeitsverdichtung, weniger Personal, sinkende Löhne und, ganz wesentlich, wenn ein bestimmter Punkt überschritten wird, ein mangelhaftes “Produkt” für den Leistungsempfänger.
William Baumol hat ein eingängiges Bild dafür geprägt. Er fragt uns, wie kann man ein Streichquartett oder ein Symphonieorchester effizienter machen? Nun, indem es die Aufführung mit weniger Musikern bestreitet, oder die Musiker spielen schneller. Ironischerweise haben wir in Österreich zwei Jahre lang das Realexperiment dazu durchgeführt. Beim ewig klammen Bundesheer wurden den Militärmusikkapellen die Hälfte der Musiker gestrichen. Hierbei wurden die Zuhörer nur mit einem verstümmelten Radetzkymarsch gequält, aber im Gesundheitsbereich erreicht der von William Baumol aufgezeigte “Irrtum” eine existenzielle Dimension.
Referenzen:
Interview mit William J. Baumol – New York Times –Seite 216 ff https://graphics8.nytimes.com/packages/pdf/health/18baumol-doc.pdf
Nachruf auf William J. Baumol – New York Times https://www.nytimes.com/2017/05/10/business/economy/william-baumol-dead-economist-coined-cost-disease.html
Frauen seid dankbar – Die Zeit
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020–05/wirtschaftskrise-frauen-coronavirus-berufe-krankenpflege-altenpflege
Die Krankenfabrik – Patienten in Not, Schwestern am Limit Regie: Sylvia Nagel, Thomas Reutter Reportage ARD 2014
Cost Disease and Emergency Medizine
Simon Bolivar Youth Orchestra @ Oslo
© by Miguel O. Strauss is licensed with CC BY-NC 2.0
Simon Bolivar Youth Orchestra @ Oslo
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Efficiency kills
Mitten in der Covid-Pandemie gelten unser kollektives Hoffen und Bangen der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Dass schwer erkrankten Angehörigen die medizinisch indizierte Behandlung aus Kapazitätsgründen verweigert wird, ist für jeden von uns eine Horrorvorstellung.
In der 2014 von der ARD ausgestrahlten Reportage „Die Krankenfabrik“ erleben wir ein ungenanntes Krankenhaus in Deutschland am Limit der Leistungsfähigkeit.
Das lässt den Schluss zu, dass die aktuelle Covid-19-Pandemie auf ein bereits geschwächtes Gesundheitssystem trifft. Der Grund dafür ist evident: die seit Jahrzehnten zunehmende Ökonomisierung der Daseinsvorsorge. Gemäßbetriebswirtschaftlicher Dogmatik wird den stark steigenden Kosten in diesem Bereich mit Einsparungsprogrammen begegnet, die als Maßnahmen zur Effizienzsteigerung “verkauft” werden. William Baumol zeigt mit seiner, Baumol’schen Kostenkrankheit getauften, Theorie, aber, dass den Apologeten von Optimierung und Effizienz der entscheidende Unterschied zwischen Warenproduktion und Dienstleistung entgangen ist.
Die Effizienzsteigerung in der Warenproduktion wird durch technische Innovation erreicht. Mehr Güter können dadurch in der gleichen (oder kürzerer) Zeit hergestellt werden. Oftmals werden auch weniger Menschen dafür benötigt, was die Kosten weiter dämpft. Dieser Mechanismus ist bei der Bereitstellung von Dienstleistungen nur eingeschränkt wirksam, weil nicht Maschinen, sondern Menschen den Hauptteil der Leistung erbringen. Obwohl eine Friseurin, eine Krankenpflegerin oder ein Mechaniker nach einem anderen Prinzip arbeitet, wird ihnen dennoch die Logik der Warenproduktion übergestülpt. Die Folge sind Arbeitsverdichtung, weniger Personal, sinkende Löhne und, ganz wesentlich, wenn ein bestimmter Punkt überschritten wird, ein mangelhaftes “Produkt” für den Leistungsempfänger.
William Baumol hat ein eingängiges Bild dafür geprägt. Er fragt uns, wie kann man ein Streichquartett oder ein Symphonieorchester effizienter machen? Nun, indem es die Aufführung mit weniger Musikern bestreitet, oder die Musiker spielen schneller. Ironischerweise haben wir in Österreich zwei Jahre lang das Realexperiment dazu durchgeführt. Beim ewig klammen Bundesheer wurden den Militärmusikkapellen die Hälfte der Musiker gestrichen. Hierbei wurden die Zuhörer nur mit einem verstümmelten Radetzkymarsch gequält, aber im Gesundheitsbereich erreicht der von William Baumol aufgezeigte “Irrtum” eine existenzielle Dimension.
Referenzen:
Interview mit William J. Baumol – New York Times –Seite 216 ff https://graphics8.nytimes.com/packages/pdf/health/18baumol-doc.pdf
Nachruf auf William J. Baumol – New York Times https://www.nytimes.com/2017/05/10/business/economy/william-baumol-dead-economist-coined-cost-disease.html
Frauen seid dankbar – Die Zeit
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020–05/wirtschaftskrise-frauen-coronavirus-berufe-krankenpflege-altenpflege
Die Krankenfabrik – Patienten in Not, Schwestern am Limit Regie: Sylvia Nagel, Thomas Reutter Reportage ARD 2014
Cost Disease and Emergency Medizine
Simon Bolivar Youth Orchestra @ Oslo
© by Miguel O. Strauss is licensed with CC BY-NC 2.0
Simon Bolivar Youth Orchestra @ Oslo
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Plädoyer für autochthone Bildungssysteme
"In my blood it runs" (2019) ist ein intimes Porträt eines Aborigine-Jungen und seiner Familie sowie Zeugnis der eklatanten Mängel des australischen Bildungssystems im Umgang mit der indigenen Bevölkerung Australiens.
Zwangsarbeit bis über den Tod hinaus
Eine kapitalismuskritische Lesart des Zombiefilms anlässlich des Erscheinens von Zombi Child (2019) von Bertrand Bonello.
Vergleichende Arbeitsforschung mit der Kamera: Darcy Lange
Der Künstler Darcy Lange lieferte mit der Kamera bedeutendes wissenschaftliches Material zu Arbeit und Bildung, das es in der Sozial- und Bildungsforschung noch aufzuarbeiten gilt.
Gesellschaft ohne Anschluss
Der neue Film „Bitte Warten“ (2020) von Pavel Cuzuioc begleitet die Arbeit von Servicetechnikern in der Telekommunikationsbranche im äußersten Osten Europas und porträtiert dabei doch mehr deren Kunden. Leute, die den Anschluss zu verlieren drohen.
Korea’s Generation Praktikum 4.0
Die TV-Serie „Misaeng: Incomplete Life“ gewährt tiefe Einblicke in Korea’s Arbeitswelt und den schwierigen Übergang dorthin
Über diesen Blog
Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes veranschaulicht dieser Blog buchstäblich das weite Feld der Arbeit, Beschäftigung und Bildung in einer offenen Sammlung akademischer, künstlerischer und auch anekdotischer Erkenntnisse.
Über uns
Konrad Wakolbinger dreht Dokumentarfilme über Arbeit und Leben. Jörg Markowitsch forscht zu Bildung und Arbeit. Beide leben in Wien. Informationen zu Gastautoren und ‑autorinnen finden sich bei ihren jeweiligen Beiträgen
Über uns hinaus
Interesse an mehr? Wir haben hier Empfehlungen zu einschlägigen Festivals, Filmsammlungen und Literatur zusammengestellt.
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