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  • (Un-)verantwortliche Arbeit – für uns


    Bernd Käpplinger

    „Living – einmal wirklich leben“ (2022) ist das britische Remake des Klassikers "Ikiru" von Akira Kurosawa von 1952. Der Film thematisiert ein zentrales Thema der Arbeitswelt: Verantwortung übernehmen. Bill Nighy, vielleicht in der Rolle seines Lebens, Drehbuchautor Ishiguro und der Film an sich wurden für mehrere britische Filmpreise nominiert.

    Der Filmtopos und die zuge­hö­ri­ge Filmszene sind bekannt: Der/die Protagonist:in bekommt die Diagnose „Krebs“ und die erschüt­tern­de Nachricht, dass sie nur noch wenige Monate zu leben hat. Rodney Williams, brillant gespielt von Bill Nighy, wird damit im Film „Living“ (UK, 2022, Regie: Oliver Hermanus, Drehbuch: Kazuo Ishiguro) kon­fron­tiert. Wenig über­ra­schend sucht er zunächst das Glück seiner letzten Stunden mit Spiel, Alkohol und Frauen zu finden. Aller­dings bleibt dieses Vorgehen erfolglos und unbe­frie­di­gend für ihn.

    Lange sucht er erfolglos nach dem tieferen Sinn des Lebens, bevor er diesen schließ­lich in der Arbeit und in der Hilfe für andere findet. Beschäf­tigt in der Bau­ab­tei­lung der Londoner Stadt­ver­wal­tung setzt er durch per­sön­li­chen Einsatz und Für­spra­che in anderen Abtei­lun­gen der Ver­wal­tung Himmel und Hölle in Bewegung, damit eine Nach­bar­schafts­in­itia­ti­ve einen Spiel­platz für Kinder bauen kann. Er wandelt sich von einem Beschäf­tig­ten, der nur Dienst nach Vor­schrift macht, zu einem Menschen, der Ver­ant­wor­tung übernimmt und auch gegen Wider­stän­de etwas positiv bewegen will. Köstlich die Szene, wo betont wird, dass die Höhe des Bergs an uner­le­dig­ter Arbeit als heim­li­ches Arbeits­ziel gilt, um die eigene Bedeutung sym­bo­lisch zu markieren.

    Kurz nach der Filmmitte verstirbt Williams bereits und der Rest des Films erzählen über sein Wirken in den letzten Tagen sowie welche positiven Wirkungen sein Tun auf seine Mit­men­schen hatte. Wer aber nun denkt, dass es hier schnulzig wird und sich alles zu einem seichten Happyend auflöst, wird mit einem uner­war­te­ten Twist in der Storyline herb ent­täuscht. Min­des­tens zwei Szenen bergen dann Über­ra­schun­gen. Große Reden werden von seinem Nach­fol­ger im Kol­le­gen­kreis geschwun­gen. Man solle im Andenken an den Ver­stor­be­nen schwören, nun wie er zu handeln. Aber das tat­säch­li­che Tun fällt dann von dem Nach­fol­ger anders aus. Er fällt in die Routine eines Abschie­bens von Ver­ant­wor­tung zurück. Ein junger Mit­ar­bei­ter — eigent­lich inspi­riert und gefördert von Williams — scheitert kläglich darin, selbst Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Er traut sich — ohne größeres per­sön­li­ches Risiko — nicht einmal die Stimme zu erheben, um gegen die Untä­tig­keit in der Büro­kra­tie zu protestieren.

    Der Film irritiert seine Zuschau­en­den mit der scho­nungs­lo­sen Erkennt­nis wieviel leichter es ist, keine Ver­ant­wor­tung für die und in der eigenen Arbeit zu über­neh­men. Auch gute Vorbilder wirken oft nicht dauerhaft und es ist schwierig, Ver­ant­wor­tung nach­hal­tig und struk­tu­rell zu verankern.

    In unserer stark ver­netz­ten Arbeits­welt, wo wir oft in Teams arbeiten müssen, ist es aus ver­schie­de­nen Gründen ein Leichtes, Ver­ant­wor­tung hin- und her­zu­schie­ben. In einer Arbeits­welt, die immer mehr von Algo­rith­men und KI mit­be­stimmt wird, kann man sich zudem hinter der Technik ver­ste­cken [1]. CEOs haben schon dubiose Geschäfts­prak­ti­ken mit angeblich nicht beein­fluss­ba­ren Algo­rith­men zu legi­ti­mie­ren gesucht. Es ist nicht unwahr­schein­lich, dass dies zunehmen wird, da man nun Ver­ant­wor­tung nicht nur auf Mit­ar­bei­ten­de, sondern nun auch noch auf die KI und Algo­rith­men abschie­ben kann.

    Der Film „Living“ vermag Zuseher:innen skeptisch stimmen, ob wir in Gegenwart und Zukunft besser mit Ver­ant­wor­tung umgehen werden. Er behält trotz aller Skepsis aber letztlich doch auch eine positive Botschaft parat. Dem Film­hel­den bescherte sein Tun ein glück­li­ches und erfülltes Lebens­en­de. Wir sollten Ver­ant­wor­tung nicht allein deswegen über­neh­men, um anderen zu helfen, sondern wir helfen uns in einer Art ego­is­ti­schen Altru­is­mus selbst, wenn wir Mut zeigen statt an Routinen zu kleben.

    Bernd Käpp­lin­ger ist Professor für Wei­ter­bil­dung an der Justus-Liebig-Uni­ver­si­tät Gießen.

    Han­dels­blatt (28.12.2017). “Solche Algo­rith­men werden ja nicht von Gott geschrie­ben

    Living, UK, 2022, Oliver Hermanus 

    Bill Nighy, Kazuo Ishiguro & Oliver Hermanus on "Living", Film4 

    Bill Nighty, Living, UK, 2022, Filmstill

    Bill Nighty, Living, UK, 2022, Filmstill

    Living, UK, 2022, Filmstill

    Living, UK, 2022, Filmset

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    (Un-)verantwortliche Arbeit – für uns

    Bernd Käpplinger

    „Living – einmal wirklich leben“ (2022) ist das britische Remake des Klassikers "Ikiru" von Akira Kurosawa von 1952. Der Film thematisiert ein zentrales Thema der Arbeitswelt: Verantwortung übernehmen. Bill Nighy, vielleicht in der Rolle seines Lebens, Drehbuchautor Ishiguro und der Film an sich wurden für mehrere britische Filmpreise nominiert.

    Der Filmtopos und die zuge­hö­ri­ge Filmszene sind bekannt: Der/die Protagonist:in bekommt die Diagnose „Krebs“ und die erschüt­tern­de Nachricht, dass sie nur noch wenige Monate zu leben hat. Rodney Williams, brillant gespielt von Bill Nighy, wird damit im Film „Living“ (UK, 2022, Regie: Oliver Hermanus, Drehbuch: Kazuo Ishiguro) kon­fron­tiert. Wenig über­ra­schend sucht er zunächst das Glück seiner letzten Stunden mit Spiel, Alkohol und Frauen zu finden. Aller­dings bleibt dieses Vorgehen erfolglos und unbe­frie­di­gend für ihn.

    Lange sucht er erfolglos nach dem tieferen Sinn des Lebens, bevor er diesen schließ­lich in der Arbeit und in der Hilfe für andere findet. Beschäf­tigt in der Bau­ab­tei­lung der Londoner Stadt­ver­wal­tung setzt er durch per­sön­li­chen Einsatz und Für­spra­che in anderen Abtei­lun­gen der Ver­wal­tung Himmel und Hölle in Bewegung, damit eine Nach­bar­schafts­in­itia­ti­ve einen Spiel­platz für Kinder bauen kann. Er wandelt sich von einem Beschäf­tig­ten, der nur Dienst nach Vor­schrift macht, zu einem Menschen, der Ver­ant­wor­tung übernimmt und auch gegen Wider­stän­de etwas positiv bewegen will. Köstlich die Szene, wo betont wird, dass die Höhe des Bergs an uner­le­dig­ter Arbeit als heim­li­ches Arbeits­ziel gilt, um die eigene Bedeutung sym­bo­lisch zu markieren.

    Kurz nach der Filmmitte verstirbt Williams bereits und der Rest des Films erzählen über sein Wirken in den letzten Tagen sowie welche positiven Wirkungen sein Tun auf seine Mit­men­schen hatte. Wer aber nun denkt, dass es hier schnulzig wird und sich alles zu einem seichten Happyend auflöst, wird mit einem uner­war­te­ten Twist in der Storyline herb ent­täuscht. Min­des­tens zwei Szenen bergen dann Über­ra­schun­gen. Große Reden werden von seinem Nach­fol­ger im Kol­le­gen­kreis geschwun­gen. Man solle im Andenken an den Ver­stor­be­nen schwören, nun wie er zu handeln. Aber das tat­säch­li­che Tun fällt dann von dem Nach­fol­ger anders aus. Er fällt in die Routine eines Abschie­bens von Ver­ant­wor­tung zurück. Ein junger Mit­ar­bei­ter — eigent­lich inspi­riert und gefördert von Williams — scheitert kläglich darin, selbst Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Er traut sich — ohne größeres per­sön­li­ches Risiko — nicht einmal die Stimme zu erheben, um gegen die Untä­tig­keit in der Büro­kra­tie zu protestieren.

    Der Film irritiert seine Zuschau­en­den mit der scho­nungs­lo­sen Erkennt­nis wieviel leichter es ist, keine Ver­ant­wor­tung für die und in der eigenen Arbeit zu über­neh­men. Auch gute Vorbilder wirken oft nicht dauerhaft und es ist schwierig, Ver­ant­wor­tung nach­hal­tig und struk­tu­rell zu verankern.

    In unserer stark ver­netz­ten Arbeits­welt, wo wir oft in Teams arbeiten müssen, ist es aus ver­schie­de­nen Gründen ein Leichtes, Ver­ant­wor­tung hin- und her­zu­schie­ben. In einer Arbeits­welt, die immer mehr von Algo­rith­men und KI mit­be­stimmt wird, kann man sich zudem hinter der Technik ver­ste­cken [1]. CEOs haben schon dubiose Geschäfts­prak­ti­ken mit angeblich nicht beein­fluss­ba­ren Algo­rith­men zu legi­ti­mie­ren gesucht. Es ist nicht unwahr­schein­lich, dass dies zunehmen wird, da man nun Ver­ant­wor­tung nicht nur auf Mit­ar­bei­ten­de, sondern nun auch noch auf die KI und Algo­rith­men abschie­ben kann.

    Der Film „Living“ vermag Zuseher:innen skeptisch stimmen, ob wir in Gegenwart und Zukunft besser mit Ver­ant­wor­tung umgehen werden. Er behält trotz aller Skepsis aber letztlich doch auch eine positive Botschaft parat. Dem Film­hel­den bescherte sein Tun ein glück­li­ches und erfülltes Lebens­en­de. Wir sollten Ver­ant­wor­tung nicht allein deswegen über­neh­men, um anderen zu helfen, sondern wir helfen uns in einer Art ego­is­ti­schen Altru­is­mus selbst, wenn wir Mut zeigen statt an Routinen zu kleben.

    Bernd Käpp­lin­ger ist Professor für Wei­ter­bil­dung an der Justus-Liebig-Uni­ver­si­tät Gießen.

    Han­dels­blatt (28.12.2017). “Solche Algo­rith­men werden ja nicht von Gott geschrie­ben

    Living, UK, 2022, Oliver Hermanus

    Bill Nighy, Kazuo Ishiguro & Oliver Hermanus on "Living", Film4

    Bill Nighty, Living, UK, 2022, Filmstill

    Bill Nighty, Living, UK, 2022, Filmstill

    Living, UK, 2022, Filmstill

    Living, UK, 2022, Filmset

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    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

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