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  • Observations on Work, Employment & Education

    Jörg Markowitsch

    Samurai des stillen Örtchens

    In Perfect Days (2023) gelingt Wim Wenders das schier Unmögliche. Mit Hilfe des „Tokyo Toilets“-Projekts und in Gestalt eines Antiheld-Helden erschafft er das Ethos des Toilettenreinigers

    Von meiner Reise nach Tokio im ver­gan­ge­nen Vor­früh­ling kehrte ich mit derart vielen Ideen und Erkennt­nis­sen zurück, dass sie mich auch noch ein­ein­halb Jahre danach beschäf­ti­gen. Zwei Umstände haben mich auf der Reise besonders beein­druckt, auf keinen war ich vor­be­rei­tet. In jeder Bar, in der ich war, wurde geraucht. Vor den Bars bzw. auf den Straßen in den besonders belebten Aus­geh­vier­tel fanden sich hingegen häufig Schilder mit der Auf­schrift: „No smoking on the streets.“ Wenn­gleich ich mich eigent­lich zu den Nicht-Rauchern zähle, habe ich mir umgehend ein Päckchen Mevius besorgt und mich nach 15 Jahren mal wieder mit einer Tschick an die Bar gesetzt. Der Einzige für mich nach­voll­zieh­ba­re Grund für ein Rauch­ver­bot im Freien, scheint die Ver­mei­dung von Kippen auf der Straße gepaart mit dem hohen Hygie­ne­an­spruch in Japan zu sein.

    Der zweite Umstand hat ebenfalls  mit Sau­ber­keit zu tun. Ich kenne außer Tokio keine Mil­lio­nen­stadt, schon gar keine mit 10 Mio. Einwohner*innen, in der öffent­li­che Bedürf­nis­an­stal­ten in aus­rei­chen­der Zahl vorhanden, allesamt blitz­blank und obendrein kos­ten­frei sind. Jede U‑Bahnstation, jeder Park, jeder Platz hat seinen eigenen Toilettentempel.

    Von den WC-Archi­tek­tur­ju­we­len, die Wim Wenders in seinem letzten Spielfilm Perfect Days (2023), mit Unter­stüt­zung der Nippon Foun­da­ti­on und dem „The Tokyo Toilets“-Projekt, por­trä­tier­te, habe ich zwar keine besucht, deren Existenz hat mich im Film aber auch nicht weiter über­rascht. Über­rascht hat mich hingegen, die Art des Porträts das Wim Wenders von Hirayama, einen Mann in seinen Fünf­zi­gern, der als einfache Toi­let­ten­rei­ni­gungs­kraft bei Tokyo Toilets arbeitet, zeichnet. Eine derartige Gelas­sen­heit und Hingabe, die Hirayama (gespielt von Koji Yakusho) für seine Aufgabe an den Tag legt, sucht sei­nes­glei­chen. Ähnlich engagiert geht viel­leicht „die Braut“ (Uma Thurman) in Kill Bill (2003) oder „der eiskalte Engel“ (Alain Delon, Le Samurai, 1967) zu werke. Hirayama braucht dafür aber keinen Rache­feld­zug. Klobürste ersetzt Schuss­waf­fe und Action erschöpft sich in nächt­li­chem Schat­ten­bo­xen im Licht einer Straßenlaterne.

    Der Film begleitet Hirayama bei seiner täglichen Routine: Aufstehen, Mor­gen­hy­gie­ne, Ankleiden, Mini-Trans­por­ter einräumen, Toi­let­ten­put­zen, zur nächsten fahren und dabei ame­ri­ka­ni­schen Pop von der Musik­kas­set­te hören, Toilette putzen, noch eine putzen und nach der Arbeit ins Tröp­ferl­bad. Hirayama ver­rich­tet diese einfache Arbeit voll­kom­men selbst­or­ga­ni­siert, ver­ant­wor­tungs­voll und mit viel Würde.

    Besondere Auf­merk­sam­keit schenkt Wenders den Arbeits­pau­sen. In seinen Mit­tags­jau­se-Pausen verzehrt Hirayama im Park ein Sandwich und beob­ach­tet Hirayama „Komorebi“*, Licht, das durch die Baum­wip­fel dringt, und foto­gra­fiert besonders schöne Momente dieses Lichts mit einer alten Pocketkamera.

    Die zarte Geschich­te, die sich zwischen den Routinen entspinnt und ein wenig Hirayamas Vor­ge­schich­te freigibt, das feine Schau­spiel von Koji Yakusho, die groß­ar­ti­ge Dra­ma­tur­gie, dieses äußerst zurück­hal­ten­den, weit­ge­hend beob­ach­ten­den, jedoch nie lang­wei­li­gen Spiel­films, all das kann in diversen Rezen­sio­nen nach­ge­le­sen werden. Was mich besonders inter­es­siert ist, wie es Wenders gelingt eine ganze Branche, nämliche die Rei­ni­gungs­diens­te, auf­zu­wer­ten. Hirayama, der im Film gefühlt kaum mehr als drei Sätze spricht, ver­kör­pert dabei den einsamen Samurai der Rei­ni­gungs­bran­che. Um diese Aus­nah­me­erschei­nung als solche begreif­bar zu machen, stellt Wenders dem älteren Hirayama den junge, unreifen, arbeits­scheu­en Takashi (Tokio Emoto) zur Seite, für den Hirayama des Öfteren ein­sprin­gen oder nach­put­zen muss. In der kom­plet­ten Ver­nach­läs­si­gung, ja Ablehnung der Arbeit, ver­kör­pert Takashi den „Nor­mal­fall“. Wer putzt schon gerne Toiletten? Wie im klas­si­schen Western, und auch Eastern, unter­streicht dieser Kniff, die Beson­der­heit des Helden. Aber wer ist hier der Held? Der Rächer der Armen, Unter­drück­ten, Gepei­nig­ten oder Ermordeten?

    Der Held ist ein einfacher Arbeiter im unbe­lieb­tes­ten Teil­be­reich des schlecht­be­zahl­ten Rei­ni­gungs­ge­wer­bes. (Hinweis: in der Reinigung arbeiten haupt­säch­lich Frauen in Teilzeit). Sein Heldsein besteht im Mensch­sein, sich trotz der äußeren Umstände seiner Würde bewusst sein.

    Die fil­mi­schen, sozusagen internen, Zutaten zur Auf­wer­tung des Toi­let­ten­rei­ni­gungs­diens­tes sind also ein Held in der Gestalt eines Anti­hel­den, der äußerst beschei­den lebt, kaum spricht, Kassetten hört, gebrauch­te Bücher liest und das durch die Baum­kro­nen fallende Licht foto­gra­fiert, ohne einen expli­zi­ten Auftrag zu haben und von allem unbe­ein­druckt bleibt. Seine Arbeit macht er gründlich, gewis­sen­haft und immer beschei­den. Die arbeits­be­zo­ge­nen, sozusagen externen, Zutaten zur Auf­wer­tung der Rei­ni­gungs­diens­te sind zum einen, eine sinnvolle, aber auch eine erfüll­ba­re Aufgabe, die gesell­schaft­li­chen Bedürf­nis­sen dient und ein hohes Maß an Selb­stän­dig­keit aber auch Soli­da­ri­tät erfordert bzw. erlaubt; zum anderen, eine anspre­chen­de Arbeits­um­ge­bung. Ersteres ist eine Frage der Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on, zweiteres eine Frage der Archi­tek­tur. Beides ist eine Frage der Wert­schät­zung, die wir bestimm­ten beruf­li­chen Tätig­kei­ten entgegenbringen.

    Stadt­ver­wal­tun­gen anderer Mil­lio­nen­städ­te mögen es The Tokyo Toilets, die den Film mit­fi­nan­ziert haben, gleichtun und für kos­ten­freie, saubere, ästhe­tisch anspre­chen­de öffent­li­che Toi­let­ten­an­la­gen in aus­rei­chen­der Zahl sowie anstän­di­ge Arbeits­be­din­gun­gen für jene, die sie erhalten, sorgen.

    Perfect Days (2023, JP/DE), Wim Wenders), Trailer 

    Filmstill. Perfect Days (2023)

    Filmstill. Perfect Days (2023)

    Filmstill. Perfect Days (2023)

    Filmstill. Perfect Days (2023)

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    Samurai des stillen Örtchens

    Jörg Markowitsch

    In Perfect Days (2023) gelingt Wim Wenders das schier Unmögliche. Mit Hilfe des „Tokyo Toilets“-Projekts und in Gestalt eines Antiheld-Helden erschafft er das Ethos des Toilettenreinigers

    Von meiner Reise nach Tokio im ver­gan­ge­nen Vor­früh­ling kehrte ich mit derart vielen Ideen und Erkennt­nis­sen zurück, dass sie mich auch noch ein­ein­halb Jahre danach beschäf­ti­gen. Zwei Umstände haben mich auf der Reise besonders beein­druckt, auf keinen war ich vor­be­rei­tet. In jeder Bar, in der ich war, wurde geraucht. Vor den Bars bzw. auf den Straßen in den besonders belebten Aus­geh­vier­tel fanden sich hingegen häufig Schilder mit der Auf­schrift: „No smoking on the streets.“ Wenn­gleich ich mich eigent­lich zu den Nicht-Rauchern zähle, habe ich mir umgehend ein Päckchen Mevius besorgt und mich nach 15 Jahren mal wieder mit einer Tschick an die Bar gesetzt. Der Einzige für mich nach­voll­zieh­ba­re Grund für ein Rauch­ver­bot im Freien, scheint die Ver­mei­dung von Kippen auf der Straße gepaart mit dem hohen Hygie­ne­an­spruch in Japan zu sein.

    Der zweite Umstand hat ebenfalls  mit Sau­ber­keit zu tun. Ich kenne außer Tokio keine Mil­lio­nen­stadt, schon gar keine mit 10 Mio. Einwohner*innen, in der öffent­li­che Bedürf­nis­an­stal­ten in aus­rei­chen­der Zahl vorhanden, allesamt blitz­blank und obendrein kos­ten­frei sind. Jede U‑Bahnstation, jeder Park, jeder Platz hat seinen eigenen Toilettentempel.

    Von den WC-Archi­tek­tur­ju­we­len, die Wim Wenders in seinem letzten Spielfilm Perfect Days (2023), mit Unter­stüt­zung der Nippon Foun­da­ti­on und dem „The Tokyo Toilets“-Projekt, por­trä­tier­te, habe ich zwar keine besucht, deren Existenz hat mich im Film aber auch nicht weiter über­rascht. Über­rascht hat mich hingegen, die Art des Porträts das Wim Wenders von Hirayama, einen Mann in seinen Fünf­zi­gern, der als einfache Toi­let­ten­rei­ni­gungs­kraft bei Tokyo Toilets arbeitet, zeichnet. Eine derartige Gelas­sen­heit und Hingabe, die Hirayama (gespielt von Koji Yakusho) für seine Aufgabe an den Tag legt, sucht sei­nes­glei­chen. Ähnlich engagiert geht viel­leicht „die Braut“ (Uma Thurman) in Kill Bill (2003) oder „der eiskalte Engel“ (Alain Delon, Le Samurai, 1967) zu werke. Hirayama braucht dafür aber keinen Rache­feld­zug. Klobürste ersetzt Schuss­waf­fe und Action erschöpft sich in nächt­li­chem Schat­ten­bo­xen im Licht einer Straßenlaterne.

    Der Film begleitet Hirayama bei seiner täglichen Routine: Aufstehen, Mor­gen­hy­gie­ne, Ankleiden, Mini-Trans­por­ter einräumen, Toi­let­ten­put­zen, zur nächsten fahren und dabei ame­ri­ka­ni­schen Pop von der Musik­kas­set­te hören, Toilette putzen, noch eine putzen und nach der Arbeit ins Tröp­ferl­bad. Hirayama ver­rich­tet diese einfache Arbeit voll­kom­men selbst­or­ga­ni­siert, ver­ant­wor­tungs­voll und mit viel Würde.

    Besondere Auf­merk­sam­keit schenkt Wenders den Arbeits­pau­sen. In seinen Mit­tags­jau­se-Pausen verzehrt Hirayama im Park ein Sandwich und beob­ach­tet Hirayama „Komorebi“*, Licht, das durch die Baum­wip­fel dringt, und foto­gra­fiert besonders schöne Momente dieses Lichts mit einer alten Pocketkamera.

    Die zarte Geschich­te, die sich zwischen den Routinen entspinnt und ein wenig Hirayamas Vor­ge­schich­te freigibt, das feine Schau­spiel von Koji Yakusho, die groß­ar­ti­ge Dra­ma­tur­gie, dieses äußerst zurück­hal­ten­den, weit­ge­hend beob­ach­ten­den, jedoch nie lang­wei­li­gen Spiel­films, all das kann in diversen Rezen­sio­nen nach­ge­le­sen werden. Was mich besonders inter­es­siert ist, wie es Wenders gelingt eine ganze Branche, nämliche die Rei­ni­gungs­diens­te, auf­zu­wer­ten. Hirayama, der im Film gefühlt kaum mehr als drei Sätze spricht, ver­kör­pert dabei den einsamen Samurai der Rei­ni­gungs­bran­che. Um diese Aus­nah­me­erschei­nung als solche begreif­bar zu machen, stellt Wenders dem älteren Hirayama den junge, unreifen, arbeits­scheu­en Takashi (Tokio Emoto) zur Seite, für den Hirayama des Öfteren ein­sprin­gen oder nach­put­zen muss. In der kom­plet­ten Ver­nach­läs­si­gung, ja Ablehnung der Arbeit, ver­kör­pert Takashi den „Nor­mal­fall“. Wer putzt schon gerne Toiletten? Wie im klas­si­schen Western, und auch Eastern, unter­streicht dieser Kniff, die Beson­der­heit des Helden. Aber wer ist hier der Held? Der Rächer der Armen, Unter­drück­ten, Gepei­nig­ten oder Ermordeten?

    Der Held ist ein einfacher Arbeiter im unbe­lieb­tes­ten Teil­be­reich des schlecht­be­zahl­ten Rei­ni­gungs­ge­wer­bes. (Hinweis: in der Reinigung arbeiten haupt­säch­lich Frauen in Teilzeit). Sein Heldsein besteht im Mensch­sein, sich trotz der äußeren Umstände seiner Würde bewusst sein.

    Die fil­mi­schen, sozusagen internen, Zutaten zur Auf­wer­tung des Toi­let­ten­rei­ni­gungs­diens­tes sind also ein Held in der Gestalt eines Anti­hel­den, der äußerst beschei­den lebt, kaum spricht, Kassetten hört, gebrauch­te Bücher liest und das durch die Baum­kro­nen fallende Licht foto­gra­fiert, ohne einen expli­zi­ten Auftrag zu haben und von allem unbe­ein­druckt bleibt. Seine Arbeit macht er gründlich, gewis­sen­haft und immer beschei­den. Die arbeits­be­zo­ge­nen, sozusagen externen, Zutaten zur Auf­wer­tung der Rei­ni­gungs­diens­te sind zum einen, eine sinnvolle, aber auch eine erfüll­ba­re Aufgabe, die gesell­schaft­li­chen Bedürf­nis­sen dient und ein hohes Maß an Selb­stän­dig­keit aber auch Soli­da­ri­tät erfordert bzw. erlaubt; zum anderen, eine anspre­chen­de Arbeits­um­ge­bung. Ersteres ist eine Frage der Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on, zweiteres eine Frage der Archi­tek­tur. Beides ist eine Frage der Wert­schät­zung, die wir bestimm­ten beruf­li­chen Tätig­kei­ten entgegenbringen.

    Stadt­ver­wal­tun­gen anderer Mil­lio­nen­städ­te mögen es The Tokyo Toilets, die den Film mit­fi­nan­ziert haben, gleichtun und für kos­ten­freie, saubere, ästhe­tisch anspre­chen­de öffent­li­che Toi­let­ten­an­la­gen in aus­rei­chen­der Zahl sowie anstän­di­ge Arbeits­be­din­gun­gen für jene, die sie erhalten, sorgen.

    Perfect Days (2023, JP/DE), Wim Wenders), Trailer

    Filmstill. Perfect Days (2023)

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    Filmstill. Perfect Days (2023)

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    Das Filmbild als de-subjektivierende Kraft, oder Klassenbildung im Film

    Das Filmbild als de-sub­jek­ti­vie­ren­de Kraft, oder Klas­sen­bil­dung im Film

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    Der Schmäh mit der Eigenverantwortung

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    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

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