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  • Gesell­schaft ohne Anschluss


    Jörg Markowitsch

    Der neue Film „Bitte Warten“ (2020) von Pavel Cuzuioc begleitet die Arbeit von Servicetechnikern in der Telekommunikationsbranche im äußersten Osten Europas und porträtiert dabei doch mehr deren Kunden. Leute, die den Anschluss zu verlieren drohen.

    Im dritten und letzten Teil seiner vor rund 10 Jahren begon­ne­nen Doku-Trilogie zu außer­ge­wöhn­li­chen Berufen führt uns Pavel Cuzuioc, der in Wien lebende und in Moldau geborene Fil­me­ma­cher, einmal mehr in seine Her­kunfts­re­gi­on. Waren es im Debutfilm Toten­grä­ber, im letzten Film Gar­de­ro­biers (siehe auch Beitrag Gar­de­ro­biers der Welt­büh­nen) sind es im aktuellen Film nun Außen­dienst­mit­ar­bei­ter von Tele­ko­m­an­bie­ter in Rumänien, Bulgarien, Moldau und der Ukraine.

    Der bei der Viennale 2020 am Vorabend des zweiten Lockdowns gezeigte Film löst bei meiner Beglei­tung Unbehagen und bei mir ver­hal­te­nes Staunen aus. Die ärmlichen Wohn­ver­hält­nis­se im ruralen Osten Europas, in die die Außen­mit­ar­bei­ter vor­drin­gen, will mein Freund nicht auch noch riechen müssen. Mich ver­wun­dert, dass der Übergang ins Mobil­funk­zeit­al­ter dort teils noch im Gange ist.

    Die Ver­suchs­an­ord­nung ist ähnlich dem Vorgänger-Film „Secondo Me“. Ein Beruf, ein Thema, mehrere Länder. 100 Stunden Material, aus­ge­wer­tet und zu einem sozio­lo­gisch-eth­no­lo­gi­schen Film-Essay von 86 min montiert. Und doch ist der neue Film gänzlich anders. Steht in „Secondo Me“ der Vergleich der Lebens­ent­wür­fe und ‑bio­gra­phien von drei Gar­de­ro­biers an drei Opern­häu­ser im Vor­der­grund, so ver­mi­schen sich in „Bitte Warten“ die unter­schied­li­chen Berufs­all­ta­ge und Drehorte. Die neue Tech­no­lo­gie und zuneh­men­de Glo­ba­li­sie­rung unter­schei­den sich in Rumänien, Bulgarien, Moldawien und der Ukraine nicht und auch die Telekom-Kunden gleichen sich weit­ge­hend. Sie scheinen den Anschluss an die vernetze Gesell­schaft zu verlieren oder lehnen diesen auch bewusst ab. Fernsehen und Festnetz wie anno dazumal muss jedoch sein, dazu am liebsten noch die alten Programme.

    Anders als in den vor­an­ge­hen­den Teilen, sind es im aktuellen Film offen­sicht­lich nicht so sehr der Berufs- und Lebens­all­tag der Ser­vice­tech­ni­ker, die Cuziuoc inter­es­sie­ren, sondern die Geschich­ten und Erzäh­lun­gen der Kunden. Dabei finden sich wun­der­vol­le Klein­por­träts. Etwa ein Priester, der über Kom­mu­ni­ka­ti­on phi­lo­so­phiert, ein Vater, der den Drogentod seines Sohnes betrauert oder ein Pen­sio­nist, der über­zeu­gend Anar­chis­mus Kro­pot­kin­scher Prägung als Lösung aktueller gesell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen präsentiert.

    Allein man fragt sich, was das für den Film und die Idee einer Trilogie über besondere Berufe bringt? Aus berufs­wis­sen­schaft­li­cher Sicht wäre es sicher­lich inter­es­san­ter gewesen, mehr über die Außen­dienst­mit­ar­bei­ter zu erfahren. Noch span­nen­der wäre gewesen, diese offen­sicht­lich aus­schließ­lich Männern vor­be­hal­te­ne Domäne mit der nur zu Beginn des Films gezeigten und weit­ge­hend aus­ge­stor­be­nen, streng weib­li­chen Welt der tech­ni­schen Innen­dienst­mit­ar­bei­te­rin­nen von Tele­fon­ver­wal­tun­gen zu ver­glei­chen. Sehens­wert ist der Film, der im März 2021 in die Kinos kommen soll, genauso wie die zwei anderen Filme der Trilogie.

     

    Tags: Telekom, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Ser­vice­tech­ni­ker, Außen­dienst­mit­ar­bei­ter, Rumänien, Moldau, Ukraine, Bulgarien, Trilogie, Pavel Cuzuioc, Secondo Me.

    BITTE WARTEN, Trailer, 2020, Österreich, 86 min 

    Arbeit in der Telefonzentrale, London, 1960, 1960, Huntley Film Archive 

    Telefonzentrale, London, 1930 

    Bitte Warten, Still

    Bitte Warten, 2020, Still

    Bitte Warten, 2020, Still

    Bitte Warten, 2020, Still

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    Gesell­schaft ohne Anschluss

    Jörg Markowitsch

    Der neue Film „Bitte Warten“ (2020) von Pavel Cuzuioc begleitet die Arbeit von Servicetechnikern in der Telekommunikationsbranche im äußersten Osten Europas und porträtiert dabei doch mehr deren Kunden. Leute, die den Anschluss zu verlieren drohen.

    Im dritten und letzten Teil seiner vor rund 10 Jahren begon­ne­nen Doku-Trilogie zu außer­ge­wöhn­li­chen Berufen führt uns Pavel Cuzuioc, der in Wien lebende und in Moldau geborene Fil­me­ma­cher, einmal mehr in seine Her­kunfts­re­gi­on. Waren es im Debutfilm Toten­grä­ber, im letzten Film Gar­de­ro­biers (siehe auch Beitrag Gar­de­ro­biers der Welt­büh­nen) sind es im aktuellen Film nun Außen­dienst­mit­ar­bei­ter von Tele­ko­m­an­bie­ter in Rumänien, Bulgarien, Moldau und der Ukraine.

    Der bei der Viennale 2020 am Vorabend des zweiten Lockdowns gezeigte Film löst bei meiner Beglei­tung Unbehagen und bei mir ver­hal­te­nes Staunen aus. Die ärmlichen Wohn­ver­hält­nis­se im ruralen Osten Europas, in die die Außen­mit­ar­bei­ter vor­drin­gen, will mein Freund nicht auch noch riechen müssen. Mich ver­wun­dert, dass der Übergang ins Mobil­funk­zeit­al­ter dort teils noch im Gange ist.

    Die Ver­suchs­an­ord­nung ist ähnlich dem Vorgänger-Film „Secondo Me“. Ein Beruf, ein Thema, mehrere Länder. 100 Stunden Material, aus­ge­wer­tet und zu einem sozio­lo­gisch-eth­no­lo­gi­schen Film-Essay von 86 min montiert. Und doch ist der neue Film gänzlich anders. Steht in „Secondo Me“ der Vergleich der Lebens­ent­wür­fe und ‑bio­gra­phien von drei Gar­de­ro­biers an drei Opern­häu­ser im Vor­der­grund, so ver­mi­schen sich in „Bitte Warten“ die unter­schied­li­chen Berufs­all­ta­ge und Drehorte. Die neue Tech­no­lo­gie und zuneh­men­de Glo­ba­li­sie­rung unter­schei­den sich in Rumänien, Bulgarien, Moldawien und der Ukraine nicht und auch die Telekom-Kunden gleichen sich weit­ge­hend. Sie scheinen den Anschluss an die vernetze Gesell­schaft zu verlieren oder lehnen diesen auch bewusst ab. Fernsehen und Festnetz wie anno dazumal muss jedoch sein, dazu am liebsten noch die alten Programme.

    Anders als in den vor­an­ge­hen­den Teilen, sind es im aktuellen Film offen­sicht­lich nicht so sehr der Berufs- und Lebens­all­tag der Ser­vice­tech­ni­ker, die Cuziuoc inter­es­sie­ren, sondern die Geschich­ten und Erzäh­lun­gen der Kunden. Dabei finden sich wun­der­vol­le Klein­por­träts. Etwa ein Priester, der über Kom­mu­ni­ka­ti­on phi­lo­so­phiert, ein Vater, der den Drogentod seines Sohnes betrauert oder ein Pen­sio­nist, der über­zeu­gend Anar­chis­mus Kro­pot­kin­scher Prägung als Lösung aktueller gesell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen präsentiert.

    Allein man fragt sich, was das für den Film und die Idee einer Trilogie über besondere Berufe bringt? Aus berufs­wis­sen­schaft­li­cher Sicht wäre es sicher­lich inter­es­san­ter gewesen, mehr über die Außen­dienst­mit­ar­bei­ter zu erfahren. Noch span­nen­der wäre gewesen, diese offen­sicht­lich aus­schließ­lich Männern vor­be­hal­te­ne Domäne mit der nur zu Beginn des Films gezeigten und weit­ge­hend aus­ge­stor­be­nen, streng weib­li­chen Welt der tech­ni­schen Innen­dienst­mit­ar­bei­te­rin­nen von Tele­fon­ver­wal­tun­gen zu ver­glei­chen. Sehens­wert ist der Film, der im März 2021 in die Kinos kommen soll, genauso wie die zwei anderen Filme der Trilogie.

     

    Tags: Telekom, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Ser­vice­tech­ni­ker, Außen­dienst­mit­ar­bei­ter, Rumänien, Moldau, Ukraine, Bulgarien, Trilogie, Pavel Cuzuioc, Secondo Me.

    BITTE WARTEN, Trailer, 2020, Österreich, 86 min

    Arbeit in der Telefonzentrale, London, 1960, 1960, Huntley Film Archive

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    Bitte Warten, 2020, Still

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    Über diesen Blog

    Mit der Auswahl eines Films oder eines Bildes ver­an­schau­licht dieser Blog buch­stäb­lich das weite Feld der Arbeit, Beschäf­ti­gung und Bildung in einer offenen Sammlung aka­de­mi­scher, künst­le­ri­scher und auch anek­do­ti­scher Erkenntnisse.

    Über uns

    Konrad Wakol­bin­ger dreht Doku­men­tar­fil­me über Arbeit und Leben. Jörg Mar­ko­witsch forscht zu Bildung und Arbeit.  Beide leben in Wien. Infor­ma­tio­nen zu Gast­au­toren und ‑autorin­nen finden sich bei ihren jewei­li­gen Beiträgen

    Über uns hinaus

    Interesse an mehr? Wir haben hier Emp­feh­lun­gen zu ein­schlä­gi­gen Festivals, Film­samm­lun­gen und Literatur zusammengestellt.

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